Wachsende Ungleichheit spielt den Rechtsextremen in die Hände

Antifa und Armut

Kolumne »Schicht im Schacht« Von

»Arm, aber sexy«: Vor knapp 20 Jahren beschrieb der damalige Regierende Bürgermeister, Klaus Wowereit (SPD), das Lebensgefühl Berlins mit diesen Worten. Gestimmt hat das schon damals nicht. Denn wer arm ist, hat Sorgen, Angst und Frust. Und vor allem sorgt die Armut dafür, dass Menschen sich ungerecht behandelt fühlen und offenbar auch an einer demokratischen Grundordnung zweifeln.

Mehr als jedes fünfte Kind und jede:r vierte junge Erwachsene gelten in Deutschland als armutsgefährdet, Alleinerziehende und Familien mit drei und mehr Kindern ­besonders häufig. Ungerecht ist das allemal.

Als Wowereit seinen Spruch prägte, stieg die Ungleichheit in Deutschland stark an. 1999 betrug der sogenannte Gini-Koeffizient, der die Einkommensungleichheit misst, 0,26, 2010 lag er bereits bei 0,29. Bis 2019 gab es dann eine Phase, in der die Ungleichheit nicht mehr weiter zunahm. Auch die Armut wuchs ab 2015 in Deutschland nicht mehr wesentlich. Die Arbeitslosigkeit sank.

Logisch, dass die AfD keinen Wert darauf legt, Ungleichheiten zu beseitigen. Sie würde im Gegenteil eine Umverteilung von unten nach oben betreiben.

Das lag unter anderem an staatlichen Interventionen: Der gesetzliche Mindestlohn wurde eingeführt, immer mehr Frauen wurden erwerbstätig. Außerdem war die Wirtschaftslage ganz gut und die Zahl der Arbeitsplätze stieg. Die Gewerkschaften hatten was zu sagen, was ebenfalls zu höheren Löhnen führte, doch verloren sie stetig an Einfluss. Anfang der neunziger Jahre fielen noch etwa 80 Prozent aller Beschäftigten unter den Geltungsbereich eines Tarifvertrages. Heute sind es nur knapp die Hälfte.

Während 2019 noch 15,9 Prozent der Bürgerinnen und Bürger arm waren, stieg ihr Anteil an der Bevölkerung bis 2021 auf 16,9 Prozent. 2022 sank er wieder leicht auf 16,7 Prozent, schreibt das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung in seinem neuesten Verteilungsbericht. Als arm gelten dabei Menschen, deren »bedarfsgewichtetes Haushaltsnettoeinkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens« beträgt. In einem Single-Haushalt liegt diese Grenze um die 1 100 Euro monatlich.

Auch die Einkommensungleichheit ist gestiegen. Sexy ist das ganz sicher nicht. Und es trägt laut WSI zu einer Entfremdung einzelner Bevölkerungsgruppen vom demokratischen System bei. Sie zweifeln an In­stitutionen und Medien. Wer also Sozialneid und Endsolidarisierung fördern möchte, ist mit Armut gut bedient.

Logisch daher, dass die AfD keinen Wert darauf legt, Ungleichheiten zu beseitigen. Sie würde im Gegenteil eine Umverteilung von unten nach oben betreiben. Kindergrundsicherung und Arbeitnehmerrechte wie den Kündigungsschutz, gesetzliche Mindestlöhne und Mitbestimmungsregelungen bezeichnet sie als »Wettbewerbsnachteile« für die deutsche Wirtschaft. Sie sind aber vor allem eines: ein Wettbewerbsnachteil für Faschisten.