Der türkische Präsident Erdoğan hat sich in Berlin halbwegs zurückgehalten

Erdoğan zu Besuch

Bei seinem Besuch in Deutschland äußerte sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan gemäßigter zu Israel als noch vor Wochen in Istanbul. Bereits auf dem Nachhauseweg verlor er vor türkischen Journalist:innen seine Selbstbeherrschung allerdings wieder.

Can Dündar ist gar nicht erst zur Pressekonferenz gegangen. Der ehemalige Chefredakteur der türkischen Zeitung Cumhuriyet weiß nur zu gut, was passiert, wenn er versucht, sich für eine Pressekonferenz mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan akkreditieren zu lassen. Bei dessen letztem Besuch in Berlin vor fünf Jahren hatte er es probiert. Dündar hatte angekündigt, er wolle Erdoğan mit Fragen zu inhaftierten Kollegen in der Türkei konfrontieren. Doch der türkische Präsident drohte, die Pressekonferenz abzusagen, sollte Dündar teilnehmen.

Der kritische Journalist verzichtete auf seine Teilnahme. Wenn man Erdo­ğan zu Gast hat, dann bringt er auch seine Sitten mit. Am 17. November kam der türkische Präsident zum ersten Mal seit seiner Wiederwahl im Mai nach Deutschland und traf sich mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier.

Zuvor war darüber diskutiert worden, Erdoğan auszuladen, nachdem er Israel zum »Terrorstaat« und die Hamas zur Befreiungsbewegung erklärt hatte. Bei seinem Besuch in Berlin blieben verbale Entgleisungen Erdoğans indes weitgehend aus. Diesmal bezeichnete er Israel nicht als »Terrorstaat« und räumte sogar indirekt das Existenzrecht Israels ein, indem er sich zur Zweistaatenlösung bekannte. Scholz wiederum sprach von einem »Terrorakt« der Hamas, ohne sie direkt als »Terrororganisation« zu bezeichnen. Auch Worte wie Islamismus und Jihadismus kamen ihm nicht über die Lippen.

Erdoğan schimpfte im Kanzleramt jedoch, dass jeder von »morgens bis abends« nur von der Hamas spreche, und unterstellte Israel, »Geiseln« zu halten. Deutschland forderte er auf, sich für die Befreiung von »10.000 von Israel genommenen Geiseln« zu en­gagieren. Gemeint waren wohl wegen Terrorakten in Israel verurteilte Hamas-Anhänger.

Journalist:innen, denen kritische Fragen zugetraut wurden, saßen nicht mit im Präsidentenflieger.

Es mag sein, dass Erdoğan nicht nur mit Rücksicht auf Scholz auf einer internationalen westlichen Bühne etwas vorsichtiger auftrat. Es wäre nicht das erste Mal, dass er Israel mit den schlimmsten Vergleichen eindeckt, nur um ein paar Jahre später die gemeinsamen Beziehungen wieder zu pflegen.
Beide Seiten hatten gute Gründe, um miteinander auszukommen. Erdoğan will die deutsche Zustimmung zum Kauf von 40 Eurofighter-Kampfjets und er mag hoffen, mit Hilfe der von Scholz geforderten Fortführung des Flüchtlingsabkommens zwischen der EU und der Türkei dringend benötigte Milliarden zu bekommen, die auf die eine oder andere Weise in die türkische Wirtschaft fließen.

Außerdem ist da noch die ­Frage der Zustimmung zur schwedischen Nato-Mitgliedschaft. Erdoğan will diesen Trumpf offenbar nicht so bald aus der Hand geben. Die Ratifizierung des Beitritts durch das türkische Parlament wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Und in Sachen Nato es geht nicht nur um die schwedische Mitgliedschaft. Mit Blick auf ein immer aggressiver auftretendes Russland und die Unsicherheit, was nach einer Wiederwahl von Donald Trump in den USA geschehen könnte, mag es dem Bundeskanzler nicht als klug erscheinen, die Türkei, das Nato-Land mit der zweitgrößten Armee, mit deutlicher Kritik zu verprellen.

Während es Scholz so einigermaßen hinbekam, weder Erdoğan zu sehr zu verärgern noch Zweifel an der deutschen Solidarität mit Israel aufkommen zu lassen, fiel in den offiziellen Verlautbarungen völlig unter den Tisch, was der türkische Staat sonst noch so macht. Da wären zum Beispiel die schweren Angriffe mit Flugzeugen, Drohnen und Artillerie auf das kurdisch verwaltete Gebiet in Nordsyrien. Über die Jahre hat die Türkei mehrere Offensiven in Syrien durchgeführt und dabei immer wieder Menschen getötet und In­frastruktur zerstört.

Nach Angaben der Veranstalte­r:in­nen demonstrierten rund 6.000 Kur­d:in­nen gegen den Besuch von Erdoğan – und wurden damit so ziemlich alleine gelassen. Lediglich die Polizei kümmerte sich um die Demonstration und nahm Teil­nehme­r:innen unter anderem wegen des Zeigens von Symbolen der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) fest – beziehungsweise was deutsche Behörden für solche erklären. Denn immer wieder werden Kurd:in­nen festgenommen, weil sie Symbole mit sich tragen, die deutsche Behörden fälschlicherweise als Symbole der PKK deuten; so wirkt der Erdoğan-Staat auch an der Spree.

Als Erdoğan wieder im Präsidentenflieger in die Türkei saß, war es mit der relativen Zurückhaltung, die er beim Auftritt mit Scholz an den Tag gelegt hatte, auch schon vorbei. Vor heimischen Journalist:innen bezeichnete er Israel erneut als »Terrorstaat«, was er auch den Deutschen erklärt habe. Zudem betonte der türkische Präsident, die Hamas sei nicht verantwortlich für das, was am 7. Oktober geschehen sei. »Sie«, also seine deutschen Gesprächspartner, sähen die 13.000 Toten in Gaza nicht. »100 bis 200 Tote auf isra­elischer Seite, das ist für sie das ganze Bild.« Mit unangenehmen Fragen hat Erdoğan hier nicht zu rechnen. Im Gegenteil, die anwesenden Journalist:in­nen nahmen seine Worte mehr als wohlwollend auf. So titelte etwa die türkische Zeitung Sabah: »Fakten zu ­hören, schmerzt sie!« Gemeint sind die Deutschen.

Journalist:innen, denen kritische Fragen zugetraut wurden, waren hingegen nicht mit im Präsidentenflieger. Sie sitzen im Gefängnis oder mussten die Türkei verlassen. Sie können Erdo­ğan nicht einmal auf Auslandsreisen kritische Fragen stellen – so wie Can Dündar.