Storytelling, Kommunikationsstrategie, Framing, Manipulation - im Zeitalter der postfaktischen Politik ist alles möglich

Manipulieren will gelernt sein

Jeder kann heute Unterricht in Manipulation nehmen. Das Angebot an Framing-Seminaren boomt, gerade in der NGO-Szene. Die Affirmation postfaktischer Politik ist gesellschaftsfähig.

Um die »Geschichte des Peloponne­sischen Kriegs« darzustellen, »glaubte ich nicht, nach dem Bericht des ers­ten Besten aufschreiben zu dürfen, auch nicht nach meinem Dafürhalten«, schrieb Thukydides Ende des fünften Jahrhunderts v. Chr. Vielmehr habe er »Berichtetes mit größtmöglicher Genauigkeit in jedem einzelnen Falle erforscht. Schwierig war die Auffindung der Wahrheit, weil die jeweiligen Augenzeugen nicht dasselbe über dasselbe berichteten, sondern je nach Gunst oder Gedächtnis.« Man streitet bis heute darüber, wie gut ihm das gelungen ist, doch wohl als Erster formulierte der griechische Historiker einen wissenschaftlichen Anspruch an die Dar­stellung von Fakten.

Bedauerlicherweise siegt auch rund 2.400 Jahre später noch oft die Neigung, »je nach Gunst« zu glauben, was man glauben möchte, obwohl das zur Verfügung stehende Wissen viel umfangreicher und leichter zu erlangen ist als jemals zuvor. In Israel fand am 7. Oktober ein grauenhaftes Massaker statt und etliche Menschen weltweit glauben einfach nicht, dass es statt­gefunden hat – völlig unabhängig davon, was an Beweisen vorliegt.

Auch Wladimir Putin und Donald Trump verbreiten erfolgreich Propagandamärchen, selbst wenn ihre Lügen eindeutig aufgedeckt werden. Die Homöopathie-Wirtschaft muss die Wissenschaft ebenfalls nicht fürchten. Die Menschen wollen glauben. Verschwörungserzählungen gedeihen prächtig, statt der Wissenschaft folgt die Menschheit lieber den Geschichtenerzählern. Das storytelling, bestimmt, was als Wahrheit gilt.

»Die erlernten Techniken helfen Ihnen, Ihre politischen Kampagnen und Ihre Kommunikationsstrategie gezielt mit bewegenden Sprachansätzen neu aufzubauen« ARD ZDF Medienakademie

Man kann jeden Fakt verschieden erzählen: Rauchen ist tödlich. Das kann man so sagen. Man kann aber auch ­sagen, dass fünfmal so viele Nichtraucher sterben wie Raucher. Welche Geschichte wollen Sie hören? Die CDU erzählt derzeit erfolgreich die Geschichte von dem 60-Milliarden-Loch im Bundeshaushalt als Versagen der Ampelkoalition. Man könnte es auch so darstellen, dass der Bundeshaushalt 60 Milliarden Euro mehr hätten, wenn die CDU nicht gegen die Aufhebung der sogenannten Schuldenbremse geklagt hätte, und die CDU also an dem ganzen Schlamassel schuld ist. Hier haben die Framing-Experten der Regierungsparteien versagt. Das ist ungewöhnlich, denn Framing, also das »Einrahmen« von Fakten, bringen sie sich gewissenhaft bei, es ist ein boomender Markt.

Und da wäre man bei der Frage, wie es sein kann, dass – oftmals wider besseren Wissens – so gerne geglaubt wird. Es gibt darauf viele Antworten, bei Adorno und Horkheimer kann man sie bereits nachlesen. Obendrein wird Verdummung aktiv gelehrt. Nicht nur in islamischen Religionsschulen, sondern auch in unzähligen Framing-Seminaren der unterschiedlichsten campaigner, was so viel heißt wie Berufsaktivisten. Die Medienakademie von ARD und ZDF bietet solche Seminare ebenso an wie die Campaigning Academy Berlin, die mit Kunden wie den Grünen, Oxfam, Amnesty International, Campact und dem Auswärtigen Amt wirbt.

Unverblümt annonciert man dort: »In diesem Seminar lernen Sie, wie Sprache uns bewegt (und manipuliert). Sie steuert unser Unterbewusstsein und beeinflusst unser Handeln mehr, als wir glauben.« Die Akademie verspricht: »Die erlernten Techniken helfen Ihnen, Ihre politischen Kampagnen und Ihre Kommunikationsstrategie gezielt mit bewegenden Sprachansätzen neu aufzubauen.«

An der privaten Quadriga-Hochschule Berlin, die Management lehrt, kann man für 1.450 Euro lernen, wie man mit Framing »Politik gestaltet«. »Das Seminar richtet sich an alle, die in der Politik, für NGOs oder Medien zur Reflexion und Akzeptanzbildung beitragen.« Die Heinrich-Böll-Stiftung bietet ­Seminare zum »Storytelling« und zum »Trainieren der Entwicklung eigener Frames« an. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung offeriert einen Framing-Workshop, »mit dem du auch in deiner politischen Praxis etwas anfangen kannst«. Die Konrad-Adenauer-Stiftung bietet kostenlos einen Online-Crashkurs: »Wir erklären, was genau Framing ist und wie man es politisch einsetzen kann.«

Die Bildungskrise besteht nicht nur darin, dass Kindern zu wenig Bildung zukommt, sondern auch darin, dass sich Erwachsene bilden – und zwar in Sachen Manipulations- und Täuschungstechniken

Der von der Bundes­regierung geförderte Verein zur Förderung politischen Handelns bewirbt ein Seminar: »Gemeinsam wollen wir analysieren, wie Sprache unser Denken beeinflusst, wie Begriffe bewusst geschaffen und eingesetzt werden, um Meinung zu machen oder zu beeinflussen. Und wir werden selbst kreativ: Welche Metaphern und Frames können wir schaffen, um Positionen auszudrücken und zu verstärken?«

Das Internet ist voll von derlei Angeboten, manche richten sich an Unternehmen, besonders viele jedoch an NGO-Mitarbeiter; zumeist wird das Erlernen des Framing als politische Bildungsarbeit verkauft. Gelehrt wird das Geschichtenerzählen, man könnte auch sagen: das Zurechtbiegen der Fakten. Es ist eine Schulung für postfaktische Politik.

Die Bildungskrise besteht eben nicht nur darin, dass Kindern zu wenig Bildung zukommt, sondern auch darin, dass sich Erwachsene bilden – und zwar in Sachen Manipulations- und Täuschungstechniken. Künstliche Intelligenz wird dabei noch helfen, Fakten »nach Gusto« zu framen. Und mit dem Bewusstsein, überfordert zu sein bei der richtigen Entscheidung, welcher Quelle, welchen Fakten, und inzwischen sogar, welchem Bild und welchem Video man glauben soll, schenkt man schon beinahe automatisch der Geschichte Glauben, die ­einem am meisten zusagt.