Montag, 14.02.2022 / 11:52 Uhr

Rückblick: Tahrirplatz in Bagdad 2020

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Demonstrantinnen in Bagdad im Januar 2020, Bildquelle: Twitter

Vor zwei Jahren beendete Corona die Massenproteste im Irak und Libanon. Letzterer ist heute ein failed state, der, wie Ya Libnan heute schreibt "has hit rock bottom".

Dass es auch damals schon wenig Hoffnung gab, allerdings auch keine Alternative, schrieb ich in einem längeren Artikel, der im Februar 2020 veröffentlicht wurde. 

Herrschte 2011 während des Arabischen Frühlings noch ein fast naiv anmutender Glaube, eine bessere Zukunft hinge nur vom Sturz der bestehenden Regimes ab, haben die Erfahrungen der vergangenen Dekade gelehrt, dass die miserable Situation sich damit nicht ändert, sondern sich kurzfristig oft sogar eher verschlechtert. Solche Illusionen gibt es heute nicht mehr: Die neue Generation, ob im Irak oder anderen Ländern der Region, ist aufgewachsen in dysfunktionalen Trümmerlandschaften. Die jungen Leute mussten miterleben, wie Syrien zerbombt wurde, der Jemen in Chaos versank und der Islamische Staat seine Terrorherrschaft ausübte. Diese 17- bis 25 Jährigen kennen nur wirtschaftliche Misere, Massenflucht und ein politisches Establishment, das sich hemmungslos selbst bereichert, aber ihnen nichts zu bieten hat. Abgesehen von der Brutalität, mit der die eigene Regierung gegen jede Dissidenz vorgeht, bleiben meist nur abgegriffene Parolen von ‚Widerstand und Kampf gegen Imperialismus und Zionismus‘.

Dieser „alte Nahe Osten“ liegt in  Agonie darnieder und reagiert reflexhaft mit Gewalt und Propaganda auf die sich verschärfenden Krisen. Die bestehenden Strukturen sind inzwischen so marode, dass sie vermutlich selbst mit gutem Willen, der innerhalb des Machtapparates nirgends zu erkennen ist, nicht reformierbar wären. Zudem fehlt es zwischen Demonstrierenden und System an vermittelnden Institutionen und Akteuren.

Vor einem ähnlichen Dilemma standen die Aktivist*innen des Arabischen Frühlings schon vor knapp zehn Jahren; seitdem hat die Situation sich keineswegs verbessert. Ganz im Gegenteil haben die meisten Staaten der Region weiter abgewirtschaftet und sind de facto bankrott. Die Gesellschaften sind tief gespalten in zwei sich zunehmend unversöhnlich gegenüber stehenden Lager: Die Gegner*innen der herrschenden (Un-)Ordnung und deren überall schrumpfende Anhängerschaft. Letztere verfügt zwar über Waffen, Geld und den erklärten Willen zum unbedingten Machterhalt, hat in den Augen großer Teile der Bevölkerung aber jedwede Legitimität verloren. Währenddessen fällt es den Apparaten zunehmend schwerer, ihr Klientel mit finanziellen und anderen Gratifikationen bei der Stange zu halten.

Trotz der Schwäche der alten Systeme gibt es aber keine guten Perspektiven für die Protestbewegung. Sie steht weitgehend isoliert da, mit nennenswerter Solidarität oder gar Unterstützung aus der sogenannten internationalen Gemeinschaft  kann sie nicht rechnen. Wer sich außerdem, ob gewollt oder nicht, mit dem Iran anlegt, hat es mit einem Gegner zu tun, der um Macht und Einfluss zu bewahren, zu allem bereit scheint. Auch wenn sich die Demonstrierenden im Irak den Sicherheitskräften und Milizen bisher eindrucksvoll entgegenstellten, wird ihr Widerstand nicht ewig währen. Einfach nur gewaltsam niederschlagen lässt diese Protestbewegung sich, wie die letzten Wochen gezeigt haben, aber auch nicht. Das wissen die Machthaber. Eine Rückkehr zum bisherigen Status quo scheint somit ebenfalls undenkbar.