Die Bundesregierung hat ihre Nationale Sicherheitsstrategie vorgestellt

Strategie für schwierige Zeiten

Die Bundesregierung hat zum ersten Mal eine Nationale Sicherheitsstrategie vorgestellt.

Wenn deutsche Politiker erst einmal eine Phrase für sich entdeckt haben, wird sie auch zu Tode geritten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) begann den Trend mit seiner Rede über die »Zeitenwende« kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine. Als er am Montag beim Tag der Industrie, einer Veranstaltung des Lobbyverbands der deutschen Großindustrie BDI, auftrat, sprach Scholz erneut ausgiebig von der »Zeitenwende«, kündigte zudem aber eine »Zukunftswende» durch den Umbau der Wirtschaft hin zur CO2-Neutralität an. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) versprach in seiner Rede ebenfalls eine »Zukunftswende«– er meinte damit die laufenden Haushaltsverhandlungen in der Bundesregierung –, forderte aber auch noch eine »Mentalitätswende«. Deutschland müsse sich verabschieden von Dingen wie der »Feuilletondebatte über eine Viertagewoche«.

Auch bei der Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesregierung war schon im Vorwort des Bundeskanzlers von der »Zeitenwende« die Rede. Die Strategie wurde Mitte voriger Woche vorgestellt – zum ersten Mal hat die Bundesregierung ein solches Dokument veröffentlicht. »Integrierte Sicherheit für Deutschland« lautet der Titel. Der Slogan soll ausdrücken, dass nicht nur militärisch für Sicherheit gesorgt werden müsse, sondern ebenso der Schutz des »Informationsraums« oder die »Absicherung unserer medizinischen Versorgung und Lieferketten« zähle. Die FAZ fragt schon besorgt, ob jetzt sämtliche Lebensbereiche unter die Regie des Auswärtigen Amts gestellt» werden, aus dem »objektiven Geist geopolitischer Notwendigkeiten».

Durchaus wahr ist, dass Außenpolitik eine viel prominentere Rolle in der deutschen Politik spielt als früher und immer mehr auch die Wirtschaftspolitik beeinflusst. Vorbei sind die Zeiten, als sich die Bundesrepublik außenpolitisch und militärisch eher unambitioniert gab und – unter dem Schutzschirm der US-amerikanisch geführten Nato – vor allem dran interessiert war, als selbsterklärte »Friedensmacht« (Sigmar Gabriel) mit Diktaturen wie China, Russland und dem Iran ins Geschäft zu kommen. Das Russland-Geschäft musste die deutsche Industrie größtenteils abschreiben – und auch die wirtschaftlichen Beziehungen mit China werden inzwischen unter geopolitischen Kriterien betrachtet. »De-risking« ist dafür das Schlagwort, die wirtschaftliche Abhängigkeit von China soll verringert werden.

In der Nationalen Sicherheitsstrategie wird China wie üblich als »Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale« beschrieben, doch wird auch betont, dass »die Elemente der Rivalität und des Wettbewerbs in den vergangenen Jahren zugenommen haben«. China setze seine Wirtschaftskraft »gezielt ein, um politische Ziele zu erreichen«. Deshalb müsse die Trennung zwischen Privatwirtschaft und staatlicher Außenpolitik hierzulande in manchen Aspekten aufgeweicht werden. »In einer offenen Volkswirtschaft« müssten auch »private Akteure sicherheitspolitische Verantwortung übernehmen«.

Die technologische »Souveränität« soll gesichert werden, indem hierzulande industrielle Kapazitäten aufgebaut werden.

Zu dieser Vermischung von Außen- und Wirtschaftspolitik gehört auch das von der Bundesregierung oft beschworene Vorhaben, die technologische »Souveränität« zu sichern, indem industrielle Kapazitäten (wieder)aufgebaut werden. Ein Beispiel dafür war eine Nachricht von Anfang der Woche. Der Halbleiterkonzern Intel und die Bun­des­regierung verhandeln seit einiger Zeit über Subventionen für eine geplante Chipfabrik in Magdeburg, nun hat man sich geeinigt: Intel soll statt der ursprünglich angekündigten 6,8 Milliarden Euro nun knapp zehn Milliarden vom Staat erhalten, dafür soll der Konzern 30 statt 17 Milliarden Euro investieren. Der Bundesregierung geht es dabei nicht nur um Arbeitsplätze, sondern um »technologische Souveränität«, wie es immer wieder heißt.

Solche Industriepolitik, für die das Intel-Werk in Magdeburg nur ein Beispiel ist, reagiert nicht nur auf die instabile Weltordnung und den Aufstieg Chinas, sondern auch auf ähnliche Programme der USA. »Biden löst ein Zwei-Billionen-Dollar-Wettrüsten über Chips und grüne Subventionen aus«, lautete eine Überschrift von Bloomberg Ende April. Rechnet man verschiedene Maßnahmen zusammen, habe die US-Regierung seit 2021 insgesamt zwei Billionen Dollar an Subventionen für Mikrochips und »grüne Technologien« eingeplant. Das hat in den USA tatsächlich zu einem Investitionsboom geführt, zumindest bei neuen Produktionsanlagen für Mikrochips.

Auch für die US-Regierung ist dabei die Konkurrenz zu China ein entscheidendes Motiv – doch die EU ist durch die Subventionen ebenfalls unter Zugzwang gesetzt. Doch während »der Status des Dollars als globale Reservewährung den Amerikanern die Möglichkeit gibt, ihre Pläne zu finanzieren«, habe die »EU dagegen ein viel kleineres Budget und hat erst vor kurzem begonnen, gemeinsame Schulden aufzunehmen«, schrieb die Financial Times vergangene Woche in einem Artikel; er argumentierte, dass die EU wirtschaftlich immer weiter hinter die USA zurückfalle und »Europas Abhängigkeit von den USA bei Technologie, Energie, Kapital und militärischem Schutz« stetig zunehme.

Eine gewisse Rückständigkeit zeigte sich auch bei den Subventionen für die Intel-Fabrik in Magdeburg. Lindner nämlich blieb bei den Verhandlungen hart und setzte sich damit durch, dass keine zusätzlichen Subventionen aus dem Haushalt der Bundesregierung kommen sollten. Das von Robert Habeck (Grüne) geführte Wirtschaftsministerium musste sich Medienberichten zufolge geschlagen geben und die zusätzlichen Milliarden für Intel nun aus dem Klima- und Transformationsfonds entnehmen. Der ist eigentlich für den Umbau der Wirtschaft hin zur CO2-Neutralität gedacht.