Selbst im an öffentlichem ­Wohnraum reichen Wien stiegen die Mieten

Modellprojekt mit leichten Rissen

Wien ist international für eine besonders soziale Wohnungs­­politik bekannt. Allerdings hält das Erbe des »Roten Wiens«, wie die sozialdemokratische Regierungszeit der zwanziger Jahre genannt wird, nicht allen Veränderungen stand.
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Seit die Wiener Sozialdemokraten in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gegen den Widerstand konservativer Kräfte beschlossen, Wohnen sei kein Privileg, sondern ein Menschenrecht, und deshalb in den Bau gemeindeeigener Wohnhäuser investierten, gilt die österreichische Bundeshauptstadt in Sachen sozialer Wohnbau weltweit als Vorbild. Bis heute reisen Delegationen aus aller Welt nach Wien, um zu sehen, was sie vom dortigen Modell lernen können.

60 Prozent der Wiener:innen leben in öffentlich geförderten Wohnungen. Allein die Gemeindewohnungen beherbergen eine halbe Million Menschen. Wien steht im Vergleich mit anderen Großstädten immer noch gut da, was den Zugang zu bezahlbaren Mietwohnungen betrifft. Das liegt vor allem daran, dass die Wiener Sozialdemokraten der Versuchung widerstanden, zur schnellen Auffüllung der Gemeindekassen den öffentlichen Wohnungsbau zu privatisieren, wie es beispielsweise die Berliner Regierung in den Neunzigern tat.

Da aber auch Wien damals knapp bei Kasse war und die EU-Kommission den sozialen Wohnbau 2009 als »wettbewerbsverzerrend« kritisiert hatte, wurden von 2002 bis 2019 keine neuen gemeindeeigenen Wohnungen mehr errichtet. Deren Bau wiederaufzunehmen, beschloss die Stadtregierung unter Michael Häupl (SPÖ) zwar 2015, die Pause ist jedoch bis heute in einer Verknappung der Gemeindewohnungen spürbar.

Da die Grundstückspreise in Wien seit der Jahrtausendwende rapide anstiegen, müssen auch die Genossenschaften höhere Finanzierungsbeiträge von ihren Mietern verlangen. Deshalb wächst der Anteil derer, die sich den geförderten Wohnraum nicht mehr leisten können.

Auch die Knappheit von Baugrund verschärfte die Wohnsituation in Wien. Da die Grundstückspreise in Wien seit der Jahrtausendwende rapide anstiegen, müssen auch die Genossenschaften höhere Finanzierungsbeiträge von ihren Mietern verlangen. Deshalb wächst der Anteil derer, die sich den geförderten Wohnraum nicht mehr leisten können.
Der starke Anstieg der Bevölkerung macht sich auf dem Wohnungsmarkt ebenfalls bemerkbar. Lebten im Jahr 2000 rund 1,5 Millionen Menschen in Wien, werden es Ende 2024 voraussichtlich zwei Millionen sein. Bei der Vergabe von Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen ist in Wien nicht die Staatsbürgerschaft der Ansuchenden entscheidend, sondern die Anzahl der Jahre, die Personen bereits in Wien leben.

Dass dies bislang kein großes politisches Thema wurde, liegt auch daran, dass man bei der Gemeinde und den Genossenschaften sehr auf eine soziale Durchmischung der geförderten Wohnanlagen achtet, um ethnische oder soziale Segregation zu vermeiden. Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), der zuvor als Stadtrat lange für den Bereich Wohnen verantwortlich war, sagt diesbezüglich: »In Wien kann man daher nicht den sozialen Status eines Menschen an seiner Visitenkarte oder Adresse erkennen.«

Daher sind in Wien auch die Einkommensgrenzen, bis zu denen Menschen um eine Gemeinde- oder Genossenschaftswohnung ansuchen können, relativ hoch angesetzt. Wer einmal ein solche Wohnung hat, wird später nicht mehr auf seine Bedürftigkeit hin überprüft. Aus den Reihen der Parteien ÖVP und FPÖ wird das teilweise als Sozialpolitik nach dem Gießkannenprinzip kritisiert. Der Wiener ÖVP-Landesobmann Karl Mahrer etwa fordert »regelmäßige Gehaltskontrollen« für Ge­mein­de­bau­mieter:innen. Die SPÖ hingegen verteidigt die Regel unter Hinweis auf die soziale Durchmischung.

Die Mieten in Gemeindebauten und Genossenschaftswohnungen in Wien sind immer noch günstig, was sich dämpfend auf die Preise des gesamten Wohnungsmarkts auswirkt. Die Stadt verlangt von ihren Mieter:innen immer nur den stadtweiten Mietrichtwert, egal ob der Gemeindebau am Stadtrand steht oder im historischen Zentrum. In Wien gibt es daher kaum Gebiete, die man als »Reichen-Ghetto« oder »Armen-Slum« bezeichnen könnte. Schon in den zwanziger Jahren versetzten die Sozial­demokraten den Konservativen einen Stich in ihr auf soziale Distinktion bedachtes Herz, als sie ausgerechnet im Nobelbezirk Döbling den gigantischen Karl-Marx-Hof errichteten, bis heute eine der größten sozialen Wohnbauanlagen der Welt.