Maximiliano Fuentes Codera, Historiker, im Gespräch über die spanische Rechtsaußen-Partei Vox

»Vox ist schon da«

Die konservativ-christliche Volkspartei Spaniens (Partido Popular, PP) liebäugelt mit einer Regierungskoalition mit der rechtsextremen Partei Vox und die Wahlprognosen bescheinigen einem solchen Bündnis Erfolgs­chancen. In der spanischen Tageszeitung »El País« kommentierte der Historiker Maximiliano Fuentes Codera, dass die Gefahr für die Demo­kratie nicht erst von einem bevorstehenden Faschismus ausgehe, sondern bereits von der festen Verankerung einer Rechtsaußen-Partei im politischen System. Im Gespräch mit der »Jungle World« erklärt Fuentes Codera das Phänomen Vox.
Interview Von

Die einen bezeichnen sie als nationalkonservativ, die anderen als rechtsextrem. Was für eine Partei ist Vox (Stimme)?
Vox hat sich aus einer rechten Abspaltung der PP gebildet. Die Partei steht nicht, wie die Fratelli d’Italia, in faschistischer oder postfaschistischer Tra­dition. Bestimmte Bereiche der in der rechten Mitte befindlichen Volkspartei haben sich radikalisiert, der Konservativismus ist ihr Ursprung. Ich denke, Vox kann man als Partei der radikalen Rechten bezeichnen, die zu der Familie der rechtsextremen Parteien gehört. Während ich Vox als rechtsradikal bezeichnen würde, wäre ein Beispiel für rechtsextrem die Goldene Morgenröte in Griechenland, die bereits ein deutliches neofaschistisches Profil hatte, was bei Vox nicht der Fall ist. Die Partei hat viel mit den tragenden Parteien der Regime in Polen oder Ungarn gemeinsam.

Welche Rolle spielt Vox im spanischen Parteiensystem und wie steht sie zum Parlamentarismus im ­Allgemeinen?
Die eindeutig populistischen Elemente, die wir vor allem bei Donald Trump beobachten können, der den Parlamentarismus offen kritisiert, was charakteristisch für den Populismus dieser jüngsten Welle ist, sind bei Vox in diesem Sinne kaum zu sehen. Vox ­attackiert vor allem rechtliche Errungenschaften. Das spanische Strafrecht erkennt Gewalt gegen Frauen als einen spezifischen Straftatbestand an, Vox greift das als Diskriminierung von Männern an. Vox delegitimiert politische Parteien im Parlament, die sie fälschlicherweise für verfassungswidrig hält, wie die Parteien der katalanischen und baskischen Unabhängigkeitsbewe­gungen; ich spreche auch von den Fortschritten, die in den letzten zehn Jahren gemacht wurden, im Zusammenhang mit dem Klimawandel oder dem Recht auf Sterbehilfe, die die Partei ebenfalls negiert beziehungsweise ablehnt. Stellt sie also den Parlamenta­rismus in Frage? Nein, zumindest nicht offen. Stellt sie die Ausweitung der ­sozialen Rechte in Frage, die im vergangenen Jahrzehnt stattgefunden hat? Ja, ganz offen.

Aus welcher Tradition des Antifeminismus schöpft Vox?
Vox geriert sich als Anti-Establishment-Partei und gibt sich nonkonformistisch. Das ist nicht besonders originell, man findet das bei vielen anderen Parteien der europäischen radikalen Rechten. Vor allem aber speist sich Vox’ Antifeminismus aus ihrem zutiefst konservativ-katholischen Weltbild. Der Antifeminismus von Vox ist vergleichbar mit dem in Polen, wo vor ­allem gegen Abtreibung Politik gemacht wird. Im Namen eines extrem konservativen katholischen Familienmodells kritisiert Vox die linken Parteien Spa­niens, insbesondere die Koalitionsregierung von Pedro Sánchez (von der sozialdemokratischen Partei PSOE, die mit dem linksalternativen Bündnis Unidas Podemos eine Minderheitsregierung bildet, Anm. d. Red.), dafür, dass sie mit diesem Familienmodell brächen und gegen das Wesen dessen verstießen, was Vox und ihre Anhänger als Spanien ansehen.

»Ich glaube nicht, dass es sich bei einer möglichen Regierungskoalition von Vox und Partido Popular um eine faschistische Bedrohung handelt.«

Wie lassen sich die steigende Re­levanz und die jüngsten Erfolge der Partei bei den Regional- und Kommunalwahlen erklären?
Vox ist einer der Kläger im Prozess ­gegen die Anführer der katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen (gemeint ist der Prozess gegen Carles Puigdemont und andere Regierungs­mitglieder der katalanischen Regionalregierung von 2017 unter anderem ­wegen Aufwiegelung, Veruntreuung öffentlicher Gelder und Ungehorsam, Anm. d. Red.). Durch diese Beteiligung gewinnt die Partei an Präsenz in den Medien. Das ist ein sehr wichtiger Aspekt. Der Erfolg von Vox ist ohne die schroffe Ablehnung der katalanischen Unabhängigkeitsbestrebung nicht zu verstehen. Ein weiterer Aspekt ist die gesellschaftliche und politische Normalisierung der Partei. Vox wird von den Medien umworben und inszeniert sich sehr geschickt in den sozialen ­Medien.

Im Jahr 2013 haben fünf vormalige Mitglieder der Volkspartei Vox ­gegründet. Wie positioniert sich der PP zu Vox, welche Rolle spielt er bei den jüngsten Erfolgen von Vox?
Der PP hat zunächst eine durchaus zweideutige Politik verfolgt. Das große Novum der vergangenen zwei Monate ist, dass der PP Vox nun ganz offiziell als Verbündeten und als möglichen Partner in der Zentralregierung und in vielen autonomen Gemeinschaften und Städten betrachtet. In der Vergangenheit hat der PP auf regionaler ­Ebene bereits mit den Stimmen der Vox regiert, aber bei diesen Regionalwahlen ist diese Zusammenarbeit zum Schlüsselelement in der Politik des PP geworden. Es wird immer wahrschein­licher, dass Spanien nach den Wahlen am 23. Juli eine Regierung bekommt, in der die Mitte-rechts-Partei PP und die radikale Rechte von Vox koalieren. Die Auswirkungen erleben wir bereits in verschiedenen Regionen Spaniens, in denen die Vorschläge von Vox zum ­Klimawandel, zum Antifeminismus, zur Abtreibung, zur Geschichtspolitik, zum Umgang mit dem Franquismus praktische Politik werden. Mit an­deren Worten: Der PP übernimmt Teile des politischen Programms von Vox.

Wie ist das Verhältnis von Vox zur Vergangenheit, wie stellt die Partei sich die Zukunft vor? Die starke ­religiöse Orientierung wirkt ja eher antimodern.
Es ist nicht die Vergangenheit des Bürgerkriegs, des Franquismus, auf die Vox sich beruft. Die Sichtweise der Partei ist viel konservativer. Das goldene Zeitalters Spaniens sehen die Vox-Anhänger in der Ära der katholischen ­Könige des 15. und 16. Jahrhunderts, sie glorifizieren das spanische Imperium. Die Haltung zur Gegenwart und die Zukunft wird bei Vox vor allem von der Ablehnung all dessen bestimmt, was an Fortschritt bei der Ausweitung demokratischer Rechte ­erreicht wurde. Mit diesen Errungenschaften wollen sie brechen und zurück zu einem konservativeren Modell. Ihr Geschichts­bezug ist nicht einfach eine Frage der Folklore oder der Erinnerung, sondern auch ein Auftrag für die Zukunft. Das ist kein Alleinstellungsmerkmal von Vox, aber merkwürdig ist es schon, dass die goldene Vergangenheit, die wiedergewonnen werden soll, sehr weit zurückliegt.

Was ist von einer spanischen Koalitionsregierung aus PP und Vox zu erwarten – droht ein neuer Faschismus?
Ich glaube nicht, dass es sich um eine faschistische Bedrohung handelt, wie man den historischen Faschismus in Italien, in Deutschland, in Kroatien oder Spanien versteht, der auf Aus­rottung, auf physischer Beseitigung von Menschen, Diktatur und dem Verbot von Parteien basierte. Ich glaube auch nicht, dass so ein Szenario unmittelbar möglich wäre. Vox ruft auch nicht offen zu Gewalt auf, es ist nicht so wie in den USA. Ich denke, die Gefahr ist nicht so sehr ein neuer Faschismus. Was mir Sorgen macht, ist, dass die Demokratie immer mehr eingeschränkt werden könnte, die verschiedenen staatlichen Institutionen, die Justiz, der Exekutive unterworfen werden, was den Schutz der Menschenrechte einschränkt. Die errungenen Rechte in Geschlechterfragen und die Fortschritte bei der Achtung von Minderheiten und beim Klimaschutz sehe ich in Gefahr. Deshalb sage ich, dass es sich nicht um Faschismus im hergebrachten Sinne handelt. Wenn PP und Vox am 23. Juli die Wahlen gewinnen, erwarte ich am 1. August keinen bewaffneten Marsch auf auf die Hauptstadt à la Mussolini. Aber es könnte der Beginn eines Prozesses des Abbaus von Rechten sein und einer Entwicklung hin zu einem illiberalen politischen System.

Sie führen vor allem den Vergleich mit Ungarn und Polen an. Diese ­illiberalen Regime untergraben die Demokratie von innen, von einer zumindest anfänglich demokratisch legitimierten Position aus. Wie ­sehen Sie dieses Phänomen?
Das ist genau das große Problem, vor dem wir stehen. Wie zuletzt in Italien mit Giorgia Meloni zu beobachten, ist die extreme Rechte in der Lage, eine bedeutende Anzahl von Stimmen zu erhalten. Vox hat mehr als 50 Abgeordnete im Abgeordnetenhaus, einer der beiden Kammern des Parlaments. Die Partei ist inzwischen auch in fast allen Regionalparlamenten vertreten und in vielen Stadträten. Sie ist heute eine wichtige politische Kraft. Das Problem ist also nicht die Gefahr, dass Vox ­kommen könnte. Vox ist schon da, so wie die AfD in Deutschland schon da ist. Und in Spanien, anders als in Deutschland, akzeptiert der PP, eine bedeutende Partei des postfranquis­tischen spanischen politischen Systems, Vox als normalen Regierungspartner.

Nach dem schlechten Abschneiden seiner Partei PSOE bei den Regionalwahlen hat Ministerpräsident ­Pedro Sánchez die Parlamentswahlen vorgezogen, wahrscheinlich auch, weil der Zeitpunkt einigermaßen günstig ist, sich so noch als das kleinere Übel im Vergleich zu einer PP-Vox-Regierung wählen zu lassen. Was halten Sie von dieser Strategie?
Es ist ratsam, den Aufstieg von Vox zur Regierungspartei zu verhindern und eine Partei zu wählen, die einer Koalition von Vox und PP klar entgegensteht, sei es der sozialdemokratische PSOE oder eine andere. Das sollte ein anderes Problem aber nicht verbergen. Der französische Fall zeigt es deutlich: Seit Jahren verfolgen die Liberalen dort die Strategie des kleineren Übels, und der Einfluss der Rechtsextremen nimmt trotzdem zu. Zwei Gründe, weswegen wir an diesem Punkt angelangt sind, möchte ich hervorheben: zum einen die Politik nach der Wirtschafts­krise von 2008, zum anderen die Krise der liberalen Demokratie. Sie scheint Schwierigkeiten zu haben, Vertretungsmechanismen zu etablieren, die die Bürger als ihre eigenen betrachten, in denen sie sich durch Parteien, durch eine Politik repräsentiert fühlen. Viele Bürger haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten von der Politik der Parteien entfernt.

Maximiliano Fuentes Codera

»Vox ­attackiert vor allem rechtliche Errungenschaften.« Maximiliano Fuentes Codera, Historiker

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privat


Maximiliano Fuentes Codera ist Zeithistoriker und Professor an der Universität von Girona, an der er den Walter-Benjamin-Lehrstuhl für ­Erinnerung und Exil innehat. Er ist Mitautor des 2022 erschienenen und bisher nur auf Spanisch vorliegenden Buchs »Ellos, los fascistas. La banalización del fascismo y la crisis de la democracia« (Sie, die Faschisten. Die ­Banalisierung des Faschismus und die Krise der Demokratie). Bei den Kommunalwahlen im Mai kandidierte er für die sozialdemokratische PSC (Partit dels Socialistes) in Girona.