Agnieszka ­Pufelska, Wissenschaftlerin, im Gespräch über Antisemitismus in Polen

»Nach polnischem Recht haben Sie sich soeben strafbar gemacht«

In Polen hat sich eine offizielle Geschichtsschreibung etabliert, die Antisemitismus in der polnischen Geschichte tabuisiert. Kritische Historiker werden angegriffen oder müssen sogar mit rechtlichen Konsequenzen rechnen. Ein Gespräch mit der Historikerin Agnieszka Pufelska über nationalistische Geschichtspolitik und die Geschichte des Antisemitismus in Polen.
Interview Von

Rafał Trzaskowski, Stadtpräsident von Warschau und Mitglied der liberalkonservativen Partei Bürgerplattform (PO), hat Ende Juli eine »Erklärung zur Bekämpfung des Antisemitismus« unterzeichnet. Dabei hat er betont, es sei die Pflicht der Warschauer Stadtverwaltung, an die Shoah zu erinnern und als Lehre aus dieser eine aktive Politik gegen den Antisemitismus zu betreiben. Ist das repräsentativ für den offiziellen Umgang mit Antisemitismus und Erinnerungspolitik in Polen?
Ich halte die Erklärung für repräsentativ. Auch die von der Partei PiS geführte rechtskonservative Regierung und der Präsident Andrzej Duda sprechen sich immer wieder gegen Antisemitismus aus. Zugleich aber betreiben die Regierung und andere rechte Parteien eine Geschichtspolitik, die dieser Deklaration widerspricht. Es gibt in Polen einen Widerspruch zwischen Theorie und Praxis, wenn es um Antisemitismus geht. Beispielsweise werden antisemitische Vorfälle zwar verfolgt, die Täter werden in der Regel aber mild oder gar nicht bestraft. Das bestärkt die Antisemiten.

Wie zeigt sich dieser Widerspruch politisch?
Die Geschichtspolitik ist auf den Nationalismus und die Festschreibung des polnischen Opferstatus fixiert. Sie richtet sich zudem sehr stark gegen die kommunistische Vergangenheit. So werden beispielsweise Soldaten, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit im antikommunistischen Widerstand kämpften, zu großen Nationalhelden erklärt. Dabei wird verschwiegen, dass diese Untergrundkämpfer auch viele Jüdinnen und Juden angriffen, die gerade erst die Shoah überlebt hatten. Es gibt auch stets Versuche von nationalistischer Seite, den Opferstatus der polnischen Juden auszublenden. So werden Polen als Helden gefeiert, die Jüdinnen und Juden retteten. Aber an die Shoah selbst, an das Leid der polnischen Jüdinnen und Juden wird nicht erinnert. Die Polen stehen im Vordergrund, nicht die Juden.

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