Der Antisemitismus von Louis Farrakhan und dessen Einfluss auf Rapper in den USA

Von Farrakhan gesandt

Eine Zusammenarbeit der Rapperin Noname mit Jay Electronica hat unter ihren Fans für Empörung gesorgt. Denn Electronica ist ein Anhänger von Louis Farrakhan, dem Anführer der Sekte Nation of Islam. Dieser, der seit Jahrzehnten die übelsten antisemitischen Verschwörungstheorien verbreitet, ist bei US-amerikanischen Rappern nicht nur kein Unbekannter, sondern jemand, zu dem man gute Beziehungen pflegt.

Fast fünf Jahre sind verstrichen, seit die US-amerikanische Rapperin Noname ihr Debütalbum »Room 25« veröffentlichte. Umso gespannter waren Fans auf den kürzlich erschienenen Nachfolger »Sundial«. Bereits ihr erstes Mixtape »Telefone« tummelte sich 2016 in diversen Jahresbestenlisten und »Room 25« ermöglichte ihr 2018 Auftritte auf der ganzen Welt. Mit Stilsicherheit, ihrem unaufgeregten Flow, den mäandernden Texten, die gleichermaßen humorvoll und bissig politische Verhältnisse befragen und innere Konflikte umkreisen, avancierte sie zur Lieblingsrapperin einer jungen politisierten Generation.

Doch die Berühmtheit stieg ihr zu Kopf. Vor allem wollte sie sich mehr dem politischen Aktivismus widmen: Sie prangerte kulturelle Aneignung an und rief einen Lesekreis ins Leben, der sich mittlerweile auf diverse Städte ausgeweitet hat und in dem Bücher wie das »Kommunistische Manifest« oder abolitionistische Literatur gelesen werden. Auch lehnte sie es ab, einen Song für den Soundtrack des Films »Judas and the Black Messiah« (2021) beizusteuern, weil das Biopic über Fred Hampton ihrer Meinung nach die politischen Positionen der Black Panther Party nicht ausreichend thematisierte. Man muss also schlussfolgern: Nonames Musik ist eng mit ihren Positionen verbunden, unbedacht ist sie nie, und ihre Fans bewundern diese konsequente Haltung.

Für den Song »Balloons«, der vorab als Single aus dem neuen Album erscheinen sollte, suchte Noname den Rapper Jay Electronica als Gast aus. Wieso ausgerechnet ihn, der sich den Namen des Hasspredigers Louis Farrakhan über seine Augenbraue tätowiert, den Rabbiner Abraham Cooper als Teufel beschimpft und immer wieder von der »synagogue of ­Satan« geschwafelt hatte? Wenn männliche Rapgrößen wie Jay Z mit ihm zusammenarbeiteten, sorgt das selten für Empörung, doch Fans von Noname konnten es nicht fassen, dass gerade sie jemandem die Bühne bereitet, der in den vergangenen Jahren immer wieder mit antisemitischen Aussagen aufgefallen ist und Louis Farrakhan verehrt, das Oberhaupt der Sekte Nation of Islam, einen der prominentesten Verbreiter von Homophobie und Antisemitismus.

Noname reagierte auf die Empörung mit pampiger Abwehr und mahnte zur Beruhigung. Ihre Kritiker bezeichnete sie als »woken Mob«, die Nation of Islam sehe sie selbst kritisch (auch wenn sie die Organisation dann doch für wichtig erachtet) und andere Rapper würden schließlich mit Leuten zusammenarbeiten, die offen über von ihnen ausgehende sexuelle Gewalt rappen – dagegen sei ein einzelnes Feature mit Jay Electronica schließlich nichts Gravierendes.

Der Rap-Part von Jay Electronica entpuppte sich als antijüdische Tirade. Sein gesamter Text ist eine mit Nation-of-Islam-Ideologie und Verschwörungsraunen angereicherte Kampfansage.

Nonames Reaktion war äußerst konfrontativ. Sie drohte ihren Fans sogar damit, die Albumveröffentlichung abzublasen – es erschien dann doch am 11. August. Dazu kam eine äußerst unangenehme Mitteilung: »Vielleicht habe ich absichtlich einen Song mit Jay Electronica gemacht, um meine weißen Fans vor den Kopf zu stoßen.« Anschließend löschte sie ihren X-Account und verschob immerhin den Release der Single.

Bald wurde klar wieso. Der Rap-Part von Jay Electronica entpuppte sich als antijüdische Tirade. Sein gesamter Text ist eine mit Nation-of-Islam-Ideologie und Verschwörungsraunen angereicherte Kampfansage. Den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nennt er einen »joke«, um sich dann an den Rothschilds abzuarbeiten. Seinen Rap-Part beendet er mit einer Huldigung an Farrakhan inklusive kriegerischen Drohgebärden: »If anybody asks, tell ’em Farrakhan sent me / It’s the war of Armageddon and I’m beggin’ the listener / If you ain’t fightin’ that mean you either dead or a prisoner«.

Die Zeilen knüpfen nahtlos an Farrakhans diesjährige Rede beim »Sa­viors Day« der Nation of Islam an, die den Titel »The War of Armageddon has begun« trug. Mit 90 Jahren sprach der sogenannte minister (Pfarrer) in alarmiertem Tonfall zu seiner Anhängerschaft, schwurbelte über die Covid-19-Impfung und lobte Hitler dafür, den Wucher bekämpft zu haben, den die Juden über die Deutschen gebracht hätten, bezeichnete gleichgeschlechtliche Ehen als »the most horrible behavior«, warnte schwarze Comedians davor, sich von Juden die Gags schreiben zu lassen, und fabulierte über den Einfluss des Satanismus. Die Anti-Defamation League bezeichnete den Inhalt seiner Rede als »Auflistung uralter antisemitischer Tropen«. Die Rede vom »War of Armageddon« insinuiere eine zweite Shoah, in der die »bösen Juden« wieder im Ofen verbrannt werden würden. Jay Electronica spielt in seinem Raptext genau auf diesen »War of Armageddon« an.

Um zu verstehen, wie es sein kann, dass Verschwörungsphantasien im Stile von Farrakhan auf einem Rap-Album landen, muss man einen Blick zurück werfen, denn der Name Farrakhan taucht keineswegs zum ersten Mal in einem solchen Kontext auf. Bereits 1987 rappte Chuck D von Public Enemy in »Bring the Noise«: »Farrakhan’s a prophet and I think you ought to listen to / What he can ­say to you / What you ought to do is follow for now«. Die Nation of Islam rekrutierte auf HipHop-Veranstal­tungen gezielt neue Anhänger:in­nen und Farrakhan erkannte früh, dass es seinem Einfluss zuträglich war, sich mit Rappern medienwirksam zu inszenieren. »Ein Rap-Song von euch ist mehr wert als Tausend meiner Reden«, betonte er 2001 vor Publikum.

Farrakhans Verflechtung mit der Rap-Szene hält bis heute an. Als 2019 seine Facebook- und Instagram-Accounts aufgrund seines Antisemitismus und seiner Homophobie gesperrt werden sollten, kritisierten das diverse Rapper wie Snoop Dogg und Ice Cube als Zensur. Als der Fernsehsender Fox Soul Farrakhans Rede zum Independence Day 2020 nicht ausstrahlen wollte, da sie voller Hassrede steckte, streamte P Diddy sie auf seinem Youtube-Kanal.

Russell Simmons, Mitgründer des Labels Def Jam, bezeichnet Farrakhan als seinen zweiten Vater, Busta Rhymes, Killer Mike oder Jay-Z bauten Schnipsel aus seinen Reden in ihre Songs ein und von Eminem bis Kendrick Lamar scheint kaum ein Rapstar auf ein Selfie mit Farrakhan verzichten zu wollen. Zweifelsfrei waren auch Kanye Wests jüngste antisemitische Tiraden von Farrakhan beeinflusst.

Farrakhan sucht die Nähe zum Rap – und fand in Jay Electronica seinen treuesten Multiplikatoren. Seine anhaltende Beliebtheit ist angesichts zunehmender antisemitischer Gewalt beunruhigend.

Die Begeisterung von Rappern für den Fanatiker Farrakhan rührt zum einen daher, dass er selbst einst Musiker war, bis er seine Musikkarriere für seine Tätigkeit bei der Nation of Islam beendete. Zu einer Zeit, als HipHop gesellschaftlich enorm geächtet war, schätzte Farrakhan Rapper als wichtige Stimmen. Wo staatliche Auffangsysteme fehlten, war die Nation of Islam aktiv und verschaf­fte sich beispielsweise mit Drogenentzugsprogrammen Beliebtheit in verarmten Stadtvierteln. Zudem inszenierte er sich häufig als Friedensstifter bei Gang-Fights, zunächst während der anhaltenden Ausschreitungen nach den Morden an Notorious B.I.G. und Tupac Shakur und später als Schlichter zwischen 50 Cent und Ja Rule.

Farrakhan sucht die Nähe zum Rap – und hat in Jay Electronica seinen treuesten Multiplikatoren gefunden. Seine anhaltende Beliebtheit ist angesichts zunehmender antisemitischer Gewalt beunruhigend, erst recht seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober. Bezeichnend ist, dass Farrakhans Geraune auch bei gesellschaftlichen Gruppen verfängt, die sich, wie Noname, Progressivität und Antifaschismus auf die Fahnen geschrieben haben. Leute wie Farrakhan wissen, dass sie die Prot­agonisten des Conscious Rap auf ihrer Seite brauchen, um durch sie ein Publikum ansprechen und mobilisieren zu können, dessen antirassistische Positionen anschlussfähig für platte Systemkritik und antisemitische Verschwörungserzählungen sind.

Nach ein paar Tagen meldete sich Noname noch einmal zu Wort, jedoch nicht mit einer Entschuldigung, noch nicht einmal einer doppelbödigen fauxpology: »Ich hasse keine Menschengruppen, ich bin gegen die weiße Vorherrschaft.« Sie sehe es zudem nicht ein, sich für einen Rap-Text zu entschuldigen, den sie gar nicht selbst geschrieben habe. Dennoch ist dieser Part auf ihrem Album erschienen, ganz davon abgesehen, dass ein konsequentes Agieren gegen white supremacy eine klare Abgrenzung vom Antisemitismus mindestens nahelegt. Aber der Fall Noname zeigt auch: Viele ihrer Fans lassen ihr derart widersprüchliches Handeln nicht durchgehen.