Armut ist keine Erklärung für die hohen Zustimmungswerte der AfD in Ostdeutschland

Schönhubers Witterung

Warum in Ostdeutschland die AfD dominiert.
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Bisweilen tut auch Faschistenmund Wahrheit kund, wenn auch auf seine eigene widerliche Art und Weise. So sagte Franz Schönhuber 1991 begeistert von Zulauf und Anklang, den die Partei Die Republikaner, der er vorsaß, in der ehemaligen DDR fand: Diese sei »das bessere Deutschland gewesen, ausländerfrei und mit ordentlichem Stechschritt«.

Ehemalige Absolventen der Leningrader Militärakademie gaben zum Besten, dass die Republikaner in ihren Augen den Kampf der SED gegen den »Kolonisatoren aus dem Westen« und den »Liberalismus amerikanischer Prägung« fortführten.

Was Schönhuber erfreut witterte, befremdete wiederum Linksliberale. So bemerkte der Spiegel im selben Jahr, dass es vor allem Offiziere der ehemaligen Nationalen Volksarmee (NVA), aber auch Funktionäre der SED waren, die die neuen Ortsverbände der Republikaner, aber auch die der Deutschen Volksunion (DVU) in den östlichen Bundesländern prägten. Da gaben etwa ehemalige Absolventen der Leningrader Militärakademie zum Besten, dass die Republikaner in ihren Augen den Kampf der SED gegen den »Kolonisatoren aus dem Westen« und den »Liberalismus amerikanischer Prägung« fortführten und dass sie wenigstens die Leistungen der DDR in Sachen »preußische Tugenden wie Ordnung, Disziplin und Pünktlichkeit« zu schätzen wüssten.

Die Republikaner, deren Parteiprogramm sich nicht wesentlich von dem der AfD heute unterschied, profitierten davon, dass hier nun wirklich einmal zusammenwuchs, was offenbar zusammengehörte. In Reaktion auf die gesellschaftlichen Liberalisierungstendenzen in der Bundesrepublik hatte sich bei dortigen Deutschnationalen schon in den Jahrzehnten vor 1989 der Blick auf die DDR gewandelt. Der Staat wurde in diesem Milieu durchaus wertschätzend als »rotes Preußen« bezeichnet; politische Ablehnung mischte sich mit kultureller Attraktion.

Die Rhetoriker des Faschismus also kamen nach 1989 durchaus aus dem Westen, das von keinerlei Schamgefühl gekennzeichnete volkstümliche Willkommen allerdings bereitete der Osten. Dass es ein solches Schamgefühl, ein Mindestwissen über den Holocaust und die verhängnisvollen Kontinuitäten deutscher Geschichte und Ideologie nicht gab, verweist wiederum zurück auf gesellschaftliche Leitbilder und Alltagspraxis in der sich als antifaschistisch verstehenden DDR.

Denn das Erbe der in erster Linie antiwestlichen deutschen Ideologie, deren Antiamerikanismus Marx in seiner gleichnamigen Schrift mehr als ein Jahrhundert zuvor bereits aufgespießt hatte, kultivierte die DDR bruchlos: den Hass auf Plutokraten und Zionisten, der nichts mit Klassenanalyse zu tun hat, die Neigung zur Autokratie – in Form der Einheitspartei des Volkes – als Gegenentwurf zur bürgerlichen Gewaltenteilung, die Russophilie als Komplement zum Antiamerikanismus, die tief in die Geschichte der Gegenaufklärung zurückreicht und beispielsweise im Dostojewskij-Fan Goebbels in der NSDAP ihren Fürsprecher hatte. Denn wie man heute sieht, spielt es für diesen Hang keine Rolle, ob über dem Kreml die rote Fahne oder die mit dem zaristischen Doppeladler weht.

Dass die Republikaner, die DVU, die NPD und nun die AfD in der ehemaligen DDR so fruchtbaren Boden fanden und finden, deutet darauf hin, dass etwas Entscheidendes fehlte in der sowjetischen Besatzungszone: re-education.

Der Kalte Krieg verlieh all diesen allzu deutschen Kontinuitäten lediglich eine Scheinrationalität, die antiwestliche Haltung mutierte zur Vorbedingung sozialistischen Fortschritts – aber nur solange die DDR bestand, danach war diese Umdeutung nicht mehr nötig. Dass also die Republikaner, die DVU, die NPD und nun die AfD in der ehemaligen DDR so fruchtbaren Boden fanden und finden, deutet darauf hin, dass etwas Entscheidendes fehlte in der sowjetischen Besatzungszone: re-education.

Von Nazis fälschlich als Umerziehung verunglimpft, bedeutete re-education, eine demokratische Denk- und Lebensweise (wieder) einzuüben und zu akzeptieren, nicht mehr als Kollektivsubjekt angesprochen zu werden, sondern als mündiger Staatsbürger. Etwas, das die West-Alliierten in der Bundesrepublik mühsam, aber auf die Dauer nicht ganz erfolglos vorantrieben.

In unguter Kontinuität hatte auch die SED wie die NSDAP zuvor das völkische Kollektiv umhätschelt, exterritorialisierte den Nationalsozialismus gemäß der Dimitroff-Doktrin auf die »aggressivsten Teile des Finanzkapitals« und wies dem Volk, etwa in den Ritualen, mit denen der Bombardierung Dresdens gedacht wurde, die Rolle als Opfer des Faschismus zu. Auch in der Alltagspraxis regierten Mobilisierung und Kollektiv über 1945 hinaus – und dann kam die sogenannte Wende: Der Beitritt zur Bundesrepublik verwies die zuvor stramm Organisierten aufs Private zurück, ohne dass es ökonomisch – wie im »Wirtschaftswunder« – gratifiziert worden wäre.

Die in den ostdeutschen Bundesländern vorhandene signifikant stärkere Neigung zur AfD lässt sich mit Verweis auf ökonomische Benachteiligung nicht wegdiskutieren. Eine solche Argumentation gleicht letztlich der, dass die Arbeitslosigkeit einst zu Hitler geführt habe; aber Arbeitslosigkeit war ein weltweites Phänomen, Hitler eben ein rein deutsches.

Das scheint auch die Urkränkung zu sein, auf die die Propagandisten einer Ost-Identität mit mittlerweile riesigem Erfolg spekulieren. Denn nur so ist zu erklären, dass man sich in Dresden mehr zurückgesetzt fühlt als im Ruhrgebiet, obwohl Letzteres im Vergleich zu Erstgenanntem schon fast slumartige Züge trägt, die tatsächlichen Lebensbedingungen im äußersten Westen also schlechter sind als im äußersten Osten. Auch eine Stadt wie das pfälzische Pirmasens wählt im Gegensatz zum sächsischen Pirna bisher eben keinen AfD-Oberbürgermeister, obwohl der ökonomische Absturz der einst prosperierenden Stadt den Pirnas weit in den Schatten stellt.

Überhaupt führt es in die Irre, West- und Ostdeutschland ökonomisch jeweils in toto zu vergleichen. Deindustrialisierung gab es hüben wie drüben. Die sozialen Folgen ähneln sich, was aber eben deutlich weniger für die mentalen Muster gilt, mit denen der jeweilige Absturz verarbeitet wird. Die in den ostdeutschen Bundesländern vorhandene signifikant stärkere Neigung zur AfD lässt sich mit Verweis auf ökonomische Benachteiligung nicht wegdiskutieren. Eine solche Argumentation gleicht letztlich der, dass die Arbeitslosigkeit einst zu Hitler geführt habe; aber Arbeitslosigkeit war ein weltweites Phänomen, Hitler eben ein rein deutsches.

Auch wenn dieser Vergleich heftig wirken mag: Die AfD steigt nicht unbedingt dort zur gesellschaftlich alles dominierenden Partei auf, wo die Lebensverhältnisse am schlechtesten sind, sondern da, wo es keine re-education gab.