Die Medienstrategie der AfD zwingt auch Politiker anderer Parteien auf Tiktok

Jack Sparrow jagt die AfD

Die Erfolge der AfD auf Tiktok locken nun auch andere Politiker:innen auf die Plattform. Sie eignet sich besonders gut für populistische Propaganda.

Das Kanzleramt kündigte an, schon bald einen Tiktok-Kanal für Olaf Scholz einzurichten. Lob für seine selbstironische Online-Strategie hatte Scholz bereits bekommen, als er nach einem Unfall Anfang September eine Augenklappe tragen musste und den Witzen zuvorkam, indem er selbst ein Bild von sich auf X (vormals Twitter) mit der Unterschrift veröffentlichte, er sei gespannt auf die Memes. Sein Aussehen brachte ihm zeitweilig den Spitznamen Jack Sparrow ein, nach dem bekannten Filmpiraten.

Auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte bereits Mitte März einen Tiktok-Account eröffnet. »Bei Twitter habe ich weit über eine Million Follower, da läuft es doch auch«, meinte er zuversichtlich. Dass die älteren Politherrschaften recht jovial ankündigen, bei den cool kids mitspielen zu können, ist allerdings kein Ausdruck einer Midlife-Crisis. Vielmehr sehen sie sich durch den Erfolg der AfD auf der Plattform zu diesem Schritt genötigt.

Die AfD und ihr Umfeld nutzen soziale Medien, um ihre Inhalte abseits des seriösen Journalismus zu verbreiten. Die dadurch generierte Aufmerksamkeit ermöglicht es ihnen, ihre Botschaften auch in den etablierten Medien zu platzieren. Tiktok bietet sich aufgrund seiner Funktionsweise hierfür besonders an und dient in wachsendem Maß als Ausgangspunkt für die Medienarbeit der AfD.

Anders als bei Plattformen wie Facebook, Instagram oder X ist es auf Tiktok nicht notwendig, sich eine große Anhängerschaft aufzubauen.

Seit ihrer Gründung nutzt die AfD erfolgreich das Potential sozialer Medien für sich. Dieser Trend setzt sich auf Tiktok fort: Während die anderen Bundestagsfraktionen insgesamt auf 200.000 Follower kommen, sind es bei der AfD 411.000. Die Plattform bietet der Partei Zugang zu einer begehrten, aber für Parteien meist schwer zu erreichenden Zielgruppe: die jungen Wähle­r:innen. Dies ist besonders vor der Europawahl von großer Bedeutung, da 2024 erstmals auch 16jährige wahlberechtigt sind. Die guten Ergebnisse der AfD bei Erstwählenden bei den Landtagswahlen in Hessen und Bayern deuten darauf hin, dass diese Strategie ­erfolgreich sein könnte.

Die Partei profitiert dabei von der »Wesensverwandtschaft« der Kommunikationsweisen sozialer Medien mit denen der Rechtspopulisten, wie Kommunikations- und Politikberater Johannes Hillje in einem Artikel für die »Blätter für deutsche und internationale Politik« betont. Emotionale, einfache und provokative Botschaften, die das Publikum direkt ansprechen, erzielen eine rege Interaktion und lange Verweildauer auf der jeweiligen Plattform, und genau diese Art von Botschaften liegt Kräften wie der AfD. Das macht sich die Partei zunutze. Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, Götz Frömming, räumte im Deutschlandfunk ein, dass AfD-Abgeordnete mittlerweile sogar ihre Reden gezielt so verfassen, dass Ausschnitte davon für soziale Medien genutzt werden können.

Die Tiktok-Antifa. Karl Lauterbach will der AfD auf der Plattform entgegenwirken

Die Tiktok-Antifa. Karl Lauterbach will der AfD auf der Plattform entgegenwirken

Bild:
tiktok.com/@karl.lauterbach24

Im Gegensatz zu Plattformen wie Facebook, Instagram oder X braucht ein Account auf Tiktok keine zahlreiche Anhängerschaft, um eine große Reichweite zu erzielen. Die Plattform eigne sich wegen ihres Algorithmus besonders gut, um einzelne Politiker:innen bekannt zu machen, so Eric Ahrens, ehemaliger Social-Media-Berater des AfD-Spitzenkandidaten für die Europawahl, Maximilian Krah. Sollte ein Konto aufgrund von Verstößen gegen die Plattformregeln gesperrt oder gedrosselt werden, wie es kürzlich bei Krah geschah, könne einfach ein neues erstellt werden – entscheidend sei die Bekanntheit eines Namens und Gesichts.

AfD-Politiker:innen werden bei der Verbreitung ihrer Inhalte von anderen neurechten Nutzer:innen und nichtauthentischen Accounts unterstützt, die mit den Beiträgen interagieren und thematisch verwandte Videos teilen. Laut Hillje sind zudem die Junge Alternative (JA), die sogenannte Identitäre Bewegung und andere rechte Gruppierungen wichtige Bestandteile eines digitalen Netzwerks, das die Koordination gemeinsamer Aktionen ermöglicht.

So werden beispielsweise die Funktionsmechanismen von Tiktok gezielt nutzt, um Personen aus den eigenen Reihen als Influencer:innen aufzubauen. Den Anfang soll Eric Engelhardt machen, Landesvorsitzender der JA Thüringen und Mitglied des JA-Bundesvorstands. Videos von Engelhardt werden in eine Telegram-Gruppe gestellt, dann modifizieren die Gruppenmitglieder sie indem sie diese zuschneiden oder Filter drüber legen und laden sie anschließend auf ihren eigenen Kanälen hoch. So sollen die Inhalte möglichst weite Verbreitung finden.

Der seriöse Journalismus steht vor einer Herausforderung: Die Brisanz der Inhalte macht eine Berichterstattung notwendig. Gleichzeitig werden die Botschaften dadurch wiederholt.

Ahrens, der bei dieser Strategie federführend ist, sieht in Tiktok den Ausgangspunkt einer dreiteiligen Vorgehensweise: Die Videos sollen nach ihrer Verbreitung auf Tiktok über andere Plattformen oder Messaging-Dienste an eine breitere Zielgruppe gelangen. Zudem soll durch kalkulierte Provokation Aufmerksamkeit generiert werden, die anschließend eine Debatte auf X und Berichterstattung in den etablierten Medien nach sich zieht. Bei dem scheinbaren Widerspruch zwischen Anbiederung an und Ablehnung von Journalismus handelt es sich, so Hillje in seinem 2022 erschienenen Buch »Das ›Wir‹ der AfD. Kommunikation und kollek­tive Identität im Rechtspopulismus«, um den »Versuch der gleichzeitigen Wirkungsmaximierung auf unterschiedlichen Medienkanälen«.

Dies stellt den seriösen Journalismus vor eine Herausforderung: Die Brisanz der Inhalte macht eine Berichterstattung notwendig. Gleichzeitig werden die Botschaften dadurch wiederholt. Mit sprachlichen Tabubrüchen sollen die Grenzen des Sagbaren verschoben und die politische Debatte verändert werden.

Die AfD ist auf Tiktok erfolgreich. Jedoch wird die Rolle sozialer Medien bei der Radikalisierung von Menschen möglicherweise überbewertet, das legt eine qualitative Studie von Forschenden aus den USA und Großbritannien nahe. Ihr zufolge erreichen extremistische Inhalte auf Youtube vor allem bereits radikalisierte Personen, die gezielt nach ihnen suchen. Laut der Mitte-Studie 2022/23 weisen 12,3 Prozent der 18- bis 34-Jährigen ein manifest rechtsextremes Weltbild auf. Tiktok bietet der AfD einen idealen Zugang zu dieser Zielgruppe, um die bereits bestehenden Ressentiments und Bedürfnisse anzusprechen und für sich zu instrumentalisieren.

Die Aktivität auf Tiktok muss als Teil einer umfassenden Medienstrategie der AfD begriffen werden. Während die Partei damit versucht, junge Wähler:in­nen zu gewinnen, spricht sie über sogenannte alternative Medien, wie das rechtsextreme Magazin Compact oder den österreichischen Sender Auf1, ihre ältere Stammwählerschaft an.