Alex Garlands dystopischer Film »Civil War« und das Spiel mit der Angst

Die Möglichkeit einer Eskalation

Der Drehbuchautor und Regisseur Alex Garland reagiert mit seinem neuen Film auf die Rhetorik der Alt-Right-Bewegung, die einen heraufziehenden Bürgerkrieg in den USA beschwört. »Civil War« möchte er als warnendes Fanal verstanden wissen. Dem regressiven Moment der Dystopie kann seine Erzählung aber nicht durchgängig widerstehen.

Es sind Eindrücke und Szenen wie aus einem failed state irgendwo auf dem Globus: Bilder von Erhängten, die von Autobahnbrücken herabbaumeln, Tote am Straßenrand, die Highways gesäumt von Autowracks, Rauchsäulen, die über zerbombten Städten hängen. In der Ferne sind Artilleriefeuer und Maschinengewehrsalven zu vernehmen.

Von gegnerischen Fraktionen ist die Rede, von Aufständen und von Sezession. Maoisten, die in Portland die Kontrolle über die Stadt übernommen haben, Kämpfe in D.C., ein ominöses Antifa-Attentat.

In Alex Garlands neuem Film »Civil War« sind es die USA der nahen Zukunft, die einem beispiellosen gesellschaftlichen Zerfallsprozess ausgesetzt sind. Die Lage könnte ernster nicht sein. Die Bevölkerung ist in Aufruhr. Das Land steht wortwörtlich in Flammen. Der Präsident (Nick Offerman) ist eine wenig vertrauens­würdige Gestalt, die sich unter dem Druck der Ereignisse mit einer Rede an die Nation wendet. Was eigentlich los ist, erschließt sich dem Zuschauer nach und nach, aber nie zur Gänze. Von gegnerischen Fraktionen ist die Rede, von Aufständen und von Sezession. Maoisten, die in Portland die Kontrolle über die Stadt übernommen haben, Kämpfe in D.C., ein ominöses Antifa-Attentat.

In den ersten Minuten des Films ist man einem Bombardement von Informationen ausgesetzt, während sich die Figuren stoisch bewegen und reagieren, als hätten sie die Info-Happen schon tausendmal irgendwo aufgenommen, ohne sie mental verarbeiten zu können. Das Personal handelt reflexhaft, intuitiv, routiniert, nach Regeln, mit denen der Zuschauer nicht vertraut ist. Die Fol­ge ist maximale Orientierungslosigkeit.

Unter Beschuss. Die ­Kriegsjournalisten Lee (Kirsten Dunst, r.) schützt ihre junge Kollegin Jessie (Cailee Spaeny)

Unter Beschuss. Die ­Kriegsjournalisten Lee (Kirsten Dunst, r.) schützt ihre junge Kollegin Jessie (Cailee Spaeny)

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© A24 / DCM

Im Kriegsnebel versinken auch schnell die ersten Handlungsminuten, in denen ein Bombenattentat eine Nachbarschaft in New York City erschüttert. Erst ist ein lauter Knall zu hören, dann Stille. Als der Staub sich legt, sieht man die Kriegsjournalistin Lee (Kirsten Dunst) zwischen Trümmern und zerrissenen menschlichen Leibern Bilder schießen. Es wirkt so, als bewege sich die Frau nicht zum ersten Mal in einer Szenerie wie dieser. Ihrer jungen Kollegin Jessie (Cailee Spaeny) hilft sie auf die Beine und in die richtige Weste, die sie als Pressevertreterin ausweist. Jessie wird sich bald an die Fersen ihres erfahrenen Vorbilds heften.

Zurück im Hotel, das wie der Rest der Stadt von temporären Blackouts heimgesucht wird, warten zwei Reporterveteranen: Joel (Wagner Moura), ein abgekochter Zyniker mit Schnauzbart, und Sammy (Stephen McKin­ley Henderson), ein altersmilder Zeitungsmann der höflichen Sorte. Zwischen Drinks in der Hotellobby wird der Fahrplan für den frühen Morgen abgesprochen. Nach Washington, D.C., soll es gehen. Die Western For­ces, ein disparates Bündnis aus den Bundesstaaten Texas und Kalifornien, blasen zur Großoffensive auf die Hauptstadt. Das Weiße Haus könnte in den kommenden Stunden fallen.

Lee und ihre Kollegen reisen zum Regierungssitz, um ein Interview mit dem Präsidenten zu führen, bevor die Putschisten ihn festsetzen können.
Wem an dieser Stelle schon schwindlig ist, dem wird es im weiteren Verlauf von »Civil War« kaum besser ergehen, denn die Fahrt der Reporterclique gleicht einer Reise ins Herz der Finsternis – desorientierend, zutiefst verstörend und brutal.

Häuserkampf in den USA.  Jessie (Cailee Spaeny) und Joel (Wagner Moura)

Häuserkampf in den USA.  Jessie (Cailee Spaeny) und Joel (Wagner Moura)

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© A24 / DCM

Alex Garland, Regisseur und Drehbuchautor von Filmen wie »28 Days Later«, »Ex Machina«, »Auslöschung« und »Men« sowie Verfasser des Bestsellers »The Beach«, nimmt sich in seinem neuen Spielfilm einen ­Topos vor, der in den USA der Gegenwart schon eine ganze Weile durchs kollektive Imaginäre spukt, besonders unter Rechten.

Erst vor ein paar Wochen trendete auf der Plattform X der Hashtag #civilwar, als die republikanische Kongressabgeordnete und Hardcore-Trumpistin Marjorie Tay­lor Greene zu einer »national divorce« zwischen »roten« und »blauen« Bundesstaaten aufrief, also jenen mit einer demokratischen und solchen mit einer republikanischen Mehrheit. Das sei wegen unüberbrückbarer Differenzen notwendig, wie die Kongressabgeordnete darlegte: »Wir müssen nach roten und blauen Staaten trennen und die Bundesregierung verkleinern. Jeder, mit dem ich spreche, sagt das. Von den kranken und ekelerregenden Themen der woken Kultur, die uns in den Rachen geschoben werden, bis hin zur verräterischen ›America Last‹-Politik der Demokraten – wir sind erledigt.«

Von geneigten Rezipienten der Rechtsaußen-Republikanerin wurden ihre Aussagen als Aufruf zur Sezession und zum Bürgerkrieg verstanden. Und Greene ist längst nicht die erste Kulturkonservative und Reaktionäre, die das Angstbild des Bürgerkriegs an die Wand malt. Teile der Alt-Right halluzinieren ihn herbei, auch der populäre konservative kanadische Sachbuchautor und Psychologe ­Jordan Peterson schwadroniert davon.

Die Situation bleibt für Joel ­undurchschaubar

Die Situation bleibt für Joel ­undurchschaubar

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Dystopien des gesellschaftlichen Zerfalls und der Apokalypse spuken auch durch die Populärkultur. An entsprechenden Bildern weidete sich beispielsweise die erfolgreiche Zombie-Serie »The Walking Dead«, die neben dem Treiben der Untoten auch immer einen gnadenlosen Krieg zwischen verfeindeten menschlichen Gruppen und Fraktionen imaginierte. Nicht selten regredieren diese Produktionen zu Gesellschaftsphantasien, die Sozialdarwinismus, das Recht des Stärkeren und den Vorrang der eigenen Clique und Familie vor dem Gesellschaftlichen propagieren.

Solcher Ansinnen ist Alex Garland unverdächtig. Dennoch gerät auch »Civil War« durch den Flirt mit der totalen Revolte in den unheimlichen Bann der seltsam ubiquitären Untergangsphantasie. Der Roadtrip der vier Kriegsberichterstatter auf dem Weg nach D.C. hält Szenen völliger Anomie bereit. Wer gegen wen kämpft und warum, versteht in »Civil War« längst niemand mehr. Good guys und bad guys sind keine verlässlichen Kategorien mehr. Soldaten in Uniform und Kämpfer ohne Kluft verüben willkürlich Erschießungen. Werte, Tugenden und Moral haben sich in nichts aufgelöst. Garland will seinen Film, angesiedelt in einer nicht weit entfernten Zukunft, als warnendes Fanal verstanden wissen. Das vermeintlich Unvorstellbare soll so vorstellbar werden.

Einiges gewohnt: Lee (Kirsten Dunst)

Einiges gewohnt: Lee (Kirsten Dunst)

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Was passiert, wenn nur noch das Gesetz der Willkür desjenigen herrscht, der gerade zufällig eine Waffe in der Hand hält, zeigt eine besonders verstörende Szene, in der ein Soldat mit knallrot verspiegelter Sonnenbrille – gnadenlos gut gespielt von Jesse Plemons – der Reihe nach in die Runde der gefangenen Protagonisten fragt: »Was für eine Art Amerikaner bist du?« Die schockierende Dringlichkeit in der Szene ergibt sich aus dem Umstand, dass die Fragerunde vor einem ausgehobenen Massengrab stattfindet. Wer die Getöteten sind und worin ihr Vergehen bestanden haben soll, wird nicht aufgelöst. Ein paar Filmminuten zuvor erklärten zwei Scharfschützen, die ein gegenüberliegendes Haus unter Feuer nehmen, ihr Handeln mit den Worten: »weil da ein Typ mit einer Knarre ist«.

Alex Garland zeigt in »Civil War« keine Bilder spritzender Blutfontänen, wie sie für Actionfilme typisch sind, auch gibt es kaum Kamerafahrten durch ein choreographiert wirkendes Kriegsgetümmel. Die Bilder der zumeist handgeführten Kameras werfen den Zuschauer mitten hinein ins hochgradig nervenaufreibende und überwältigende Geschehen.

»Civil War« ist eine äußerst ambivalente Seherfahrung, die die Frage aufwirft, welches Verhältnis jeder Einzelne subjektiv zu kollektiven Phantasien wie der des dräuenden Bürgerkriegs unterhält.

Sich dem Sog der dokumentarisch herandrängenden Gewalt zu entziehen, gar eine objektive Warte einzunehmen, ist nahezu unmöglich. Die so suggerierten Bilder haben eine fast schon traumatisierende Qualität. Spielraum, um sich zum Erlebten zu verhalten, haben wir Zuschauer dabei ebenso wenig wie die den finalen Aufstand dokumentierenden Kriegsreporter. Vorneweg Kirsten Dunst, die ihre Rolle als erfahrene Kamerafrau in jeder noch so kleinen Bewegung auf Fotojagd glaubhaft darbietet. Eigentlich will sie der jungen Fotografin Jessie ihre ehrgeizigen Pläne ausreden, eine berühmte Kriegsreporterin zu werden. Doch die junge Frau geht, mitunter rücksichtslos, ihre eigenen Wege.

Auf dem dramaturgischen Höhepunkt bleibt dann doch ein Moment des Stillstands, der Reflexion, in dem auch Fragen der Ethik von Kriegsfotografie herandrängen. Es ist kein Zufall, dass sich im filmischen Sturm auf den Washingtoner Regierungssitz jene realen Bilder vom 6. Januar 2021 spiegeln, als ein wütender Mob das Kapitol stürmte. Mit den Klängen des Songs »Dream Baby Dream« der Elektropunk-Band Suicide schickt Regisseur Alex Garland sein Publikum schließlich auf den Nachhauseweg.

»Civil War« ist eine äußerst ambivalente Seherfahrung, die die Frage aufwirft, welches Verhältnis jeder Einzelne subjektiv zu kollektiven Phantasien wie der des dräuenden Bürgerkriegs unterhält. Auch die, welche Rolle der Film selbst in Bezug auf diese einnimmt. Es scheint jedenfalls so, als würde die verdammte Alptraumvorstellung eines civil war noch eine ganze Weile in der Luft liegen.

Civil War (USA 2024). Buch und Regie: Alex Garland. Darsteller: Kirsten Dunst, Cailee Spaeny, Jesse Plemons, Wagner Moura, Stephen McKinley Henderson, Nick Offerman. Filmstart: 18. April