Ein Bündnis kämpft gegen die Reform des Versammlungsgesetzes im Freistaat Sachsen

Sächsisch restriktiv

In Sachsen hat sich ein Netzwerk gegründet, um gegen eine geplante Reform des Versammlungsgesetzes zu protestieren. Das neue Gesetz soll deutlich restriktiver sein und könnte manche davon abschrecken, an Demonstrationen teilzunehmen, so die Befürchtung. Viel Zeit, um die Novelle zu verhindern, bleibt nicht mehr.

Die sächsische Regierungskoalition aus CDU, Grünen und SPD hatte sich einiges vorgenommen. Bis 2021 solle das Versammlungsrecht »praxisgerechter und verständlicher« gestaltet werden, hieß es im 2019 verfassten Koalitionsvertrag. Tatsächlich ließ ein entsprechender Gesetzentwurf bis August 2023 auf sich warten. Läuft alles wie geplant, wird ein neues Versammlungsgesetz zu den letzten Beschlüssen der derzeitigen Regierung gehören, bevor im September der Landtag neu gewählt wird.

»Besonders wichtig war mir die Berücksichtigung von Erkenntnissen aus der Versammlungspraxis, eine bessere Handhabbarkeit für alle Beteiligten, die Stärkung des Kooperationsge­dankens und ein besserer Schutz der Medienschaffenden«, ließ sich Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) im vergangenen Dezember zitieren, als der Gesetzesentwurf vom Ka­binett beschlossen wurde. In den vier Monaten davor hatten Expert:innen ihre Einschätzungen abgeben können.

»Drohende Verschärfung im Versammlungsrecht aufhalten«

Trotz teilweise erheblicher Kritik habe sich am Entwurf kaum etwas geändert, beklagt Artemys von der Queer Pride Dresden im Gespräch mit der Jungle World. Die Gruppe, die seit einigen Jahren die gleichnamigen Demonstrationen in der Landeshauptstadt organisiert, hat ebenfalls eine ausführliche Stellungnahme zum Entwurf abgegeben und gehört zum Netzwerk gegen das neue sächsische Versammlungsgesetz. Der Zusammenschluss hat sich zu Beginn des Jahres gegründet und hofft laut Pressemitteilung darauf, »die drohende Verschärfung im Versammlungsrecht noch aufhalten zu können«.

Artemys sieht die Aufgabe von Queer Pride Dresden im Netzwerk auch darin, die Probleme von Christopher-Street-Day-Veranstaltungen im ländlichen Raum zu thematisieren. Dort hätten die Organisator:innen schon jetzt mit teilweise »absurden Einschränkungen« seitens der Versammlungsbehörden zu kämpfen, sagt Artemys. Hinzu kommen Drohungen und Übergriffe durch Neonazis. In der Stellungnahme hat Queer Pride Dresden ­dementsprechend kritisiert, dass Schutzausrüstung auf Demonstrationen verboten bleiben soll und dass dieses Verbot »zumindest sprachlich erneut« ausgedehnt werde. Das behindere nicht nur den Schutz vor rechter ­Gewalt, sondern schränke beispielsweise auch Fetischbekleidung bei queeren Versammlungen ein.

Die Christopher-Street-Day-Veranstaltungen im ländlichen Raum hätten schon jetzt mit »absurden Einschränkungen« zu kämpfen, sagt Artemys von Queer Pride Dresden.

Auf der Homepage des Netzwerkes, dem auch Parteijugendorganisationen, Verdi und antifaschistische Initiativen angehören, wird noch mehr bemängelt. Kritik gibt es an fast jedem Paragraphen des geplanten Gesetzes. Einige Beispiele: Behörden sollen Personen zu Veranstalter:innen erklären können, die lediglich via Flyer oder Social Media zur Teilnahme an einer Demonstra­tion aufgerufen haben; Ordner:innen sollen aus einer Vielzahl an Gründen von den Behörden abgelehnt werden können; bei Demonstrationen, die aus Sicht der Behörden eine »Gefahr für die öffentliche Sicherheit« darstellen, sollen Ordner:innen ihren Namen und ihre Geburtsdaten hinterlassen müssen, diese können dann bis zu zwei Jahre gespeichert werden; wird eine Versammlung verboten, sollen Ersatzveranstaltungen mit ähnlicher Ausrichtung gleich mit als verboten gelten.

Besonders scharfe Kritik hat der ­Verein Komitee für Grundrechte und Demokratie formuliert. »Komplett absurd und verfassungsrechtlich unhaltbar« sei beispielsweise, dass sich die Versammlungsbehörden selbst als Versammlungsleitung einsetzen können, wenn keine Versammlungsleitung mehr feststellbar sei. Die Regelungen zu den Ordner:innen seien abschreckend und geeignet, »Versammlungen durch die Behörden zu behindern oder gar zu verunmöglichen«. Dass kurzfristig geplante Versammlungen weiterhin 48 Stunden vorher angezeigt werden müssen, aber Wochenenden und Feiertage nicht mehr in die Berechnung dieser Frist einfließen sollen, würde die »jahrzehntelang funktionierende Anzeigepraxis ohne Not erschweren«. Die Versammlungsfreiheit »aus Gründen des ›Behördenalltags‹« einzuschränken, sei mit dem Grundgesetz nicht ver­einbar.

Demons­tration in Dresden am 18. April

Am 18. April wird sich in Sachsen der Innenausschuss des Landtags mit dem Gesetz befassen. Das Netzwerk gegen das neue Versammlungsgesetz plant an diesem Tag eine Demons­tration in Dresden. »Das Bewusstsein, welche Auswirkungen diese Novellierung hätte, ist noch nicht so stark«, sagt Artemys. Viel Zeit, dieses zu stärken, bleibt auch nicht mehr. Mitte Juni soll die letzte Plenarsitzung vor der Sommerpause und somit vor der Landtagswahl stattfinden. »Den Grünen wird hoffentlich klar, dass das nicht das ist, was im Koalitionsvertrag vereinbart wurde«, so Artemys.

Deren innenpolitischer Sprecher ­Valentin Lippmann hatte schon im vergangenen Oktober ausführlich Stellung zum geplanten neuen Versammlungsgesetz genommen. Ihm zufolge gebe es auch Verbesserungen. Beispielsweise soll die Teilnahme an einer Blockade künftig keine Straftat mehr sein, sondern nur noch eine Ordnungswidrigkeit. »Damit liegt die Entscheidung darüber, ob die Teilnehmer:innen einer friedlichen Blockade anschließend zur Verantwortung gezogen werden, im Ermessen der Versammlungsbehörde«, so Lippmann. Er betont zudem, dass es mit dem Gesetzentwurf kaum neue Befugnisse für die Sicherheits­behörden gebe.

Kritiker:innen des neuen Gesetzes können aber vielleicht dennoch darauf hoffen, dass sich Grüne und SPD bei der CDU »revanchieren«. Eine von Grünen und SPD gewünschte Verfassungsreform, die unter anderen Volksbegehren erleichtern sollte, scheiterte kürzlich im Landtag, weil mehrere CDU-Abgeordnete dem Vorhaben nicht zustimmten, obwohl es im Koalitionsvertrag vereinbart war. Vielleicht fühlen sich deshalb wenige Monate vor dem Ende der Wahlperiode auch manche Abgeordnete von Grünen und SPD in Sachen Versammlungsgesetz nicht mehr an den Koalitionsvertrag ­gebunden.