Christa Stolle, Bundesgeschäftsführerin von Terre des Femmes, im Gespräch über die Distanzierung vom umstrittenen Positionspapier »Transgender, Selbstbestimmung und Geschlecht«

»Der Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt ist unser Kernanliegen«

In der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes (TDF) brodelt es. Jüngst hatte die Organisation bei einer Vollversammlung entschieden, sich von ihrem umstrittenen Positionspapier »Transgender, Selbstbestimmung und Geschlecht« zu distanzieren. Es folgten zahlreiche Austritte, begleitet von der öffentlichkeitswirksamen Kampagne #saveTDF auf Twitter. Der Richtungswechsel sei ein »historischer Fehler« und schade Frauen und Mädchen, so die Kritikerinnen. In dem Positionspapier definierte die Organisation, wer für sie Frau sei und an wen sich ihre Arbeit deshalb richte. Transfrauen werde damit das Frausein abgesprochen, so die Kritik vieler. Die »Jungle World« sprach mit Christa Stolle, der Bundesgeschäftsführerin der Frauenrechtsorganisation, über diese Entwicklungen.
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Weshalb haben Sie das umstrittene Positionspapier zurückgezogen?
Der Beschluss des Positionspapiers wurde heftig kritisiert, uns wurde Transfeindlichkeit vorgeworfen. Wir wurden sogar aus feministischen Bündnissen ausgeschlossen, deren Anliegen uns am Herzen liegen. Das tat weh. Diese Reaktionen haben auch die Städtegruppen zu spüren bekommen. Ein Antrag einer Städtegruppe, das Papier zurückzuziehen, scheiterte bei unserer Mitfrauenversammlung 2022 nur knapp. Im Vorstand haben wir im August 2022 mit drei Ja-Stimmen und einer Gegenstimme beschlossen, das Papier dennoch zurückzuziehen. Da hierzu laut Satzung nur eine Mitfrauenversammlung befugt ist, haben wir entschieden, das Positionspapier zunächst von unserer Website zu nehmen. Im Juni dieses Jahres hat die Mitfrauenversammlung das Papier offiziell zurückgenommen. Für uns war klar, dass diese Positionierung auch den Verein selbst gespalten hat und für die Arbeit an unseren Kernthemen keine Relevanz hat. Unsere Schwerpunkte sind unter anderem der Kampf gegen Genitalverstümmelung, Früh- und Zwangsverheiratung, Gewalt im Namen der Ehre, häusliche und sexualisierte Gewalt, Frauenhandel und Prositution.

Wie kam es 2020 zu der Verabschiedung des Positionspapiers?
Eine Gruppe innerhalb von Terre des Femmes hatte diese Positionierung eingefordert. Sie verwies dabei auf die Notwendigkeit des Schutzes von Frauenräumen vor Männern, die sich als Transfrauen ausgeben könnten. Ich muss zugeben, dass wir uns davon haben leiten lassen. Daher begann ein langer Aushandlungsprozess über die Inhalte des Papiers. Mir ist aber auch wichtig zu betonen, dass das Positionspapier aus meiner Sicht nicht transfeindlich ist, auch wenn es viele kritische Passagen enthält, denen man anmerkt, dass TDF keine ausreichende Expertise zu dem Thema hat. Es handelt sich bei dem Beschluss um eine Klarstellung dessen, wofür Terre des Femmes steht. Der Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt ist unser Kernanliegen.

Stehen Sie derzeit im Dialog mit den Frauen, die ihren Austritt mit der Kampagne #saveTDF öffentlich gemacht haben?
Wir waren über Monate im Austausch mit den Mitfrauen. Lange haben wir versucht, Kompromisse zu finden. Es wurde aber auch klar, dass es mit deren Position, dass Transfrauen nicht zu Terre des Femmes gehören, keinen Kompromiss geben kann. Natürlich gehören auch Transfrauen zu Terre des Femmes. Als Vorstand und Bundesgeschäftsführung haben wir uns entschieden, nicht auf die aktuellen Angriffe auf den Verein zu reagieren. Wir wollen unsere Arbeit machen und unsere Ressourcen nicht anderweitig verschwenden.

Im Mittelpunkt des Positionspapiers stand die Frage, wer Frau ist und welchen Platz die Anliegen von Transfrauen bei TDF haben. Wie wollen Sie diese Themen in Zukunft angehen?
In unserer Satzung ist weibliches Geschlecht nicht näher definiert. Darüber hinaus hat die Debatte keine Auswirkungen auf unsere Kernthemen als Frauenrechtsorganisation. Wir wollen einfach nur unsere gute Arbeit fortsetzen.