Der deutsche Fußball soll deutsch und männlich bleiben

Die Hysterie ums Trikot

Die Ausstattung der deutschen Fußballnationalmannschaft sorgt erneut für Diskussionen. Deutsche Politiker fühlen sich in ihren patriotischen Gefühlen gekränkt.
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Die Nerven liegen blank. Wut, Trauer, Enttäuschung – derzeit folgt im deutschen Fußball eine Hiobsbotschaft der nächsten. Angefangen hat alles mit der Angst vor der Verschwulung: Weil die Nationalelf bei der kommenden Europameisterschaft im pinken Auswärtstrikot auftreten soll, sahen einige offenbar ihre heterosexuelle Männlichkeit gefährdet.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hätte sich »ein Stück mehr Standortpatriotismus« gewünscht. Und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) beklagt eine Fehlentscheidung, bei der »Kommerz ein Stück Heimat vernichtet«.

»Statt Trikots mit leicht tuckig wirkendem Color Scheme« würde »schwarz, rot und gold (mit weiß) völlig genügen«, mahnt etwa Jan A. Karon vom rechtspopulistischen Online-Medium Nius auf X. Die nächste Schreckensmeldung allerdings beweist: »Schwarz, rot und gold« allein genügt nicht. Ab 2027, so verkündete der Deutsche Fußball-Bund (DFB), soll der US-Konzern Nike die Nationalmannschaft ausrüsten.

Nach 70 Jahren beendet der DFB also die Zusammenarbeit mit dem bisherigen Ausstatter Adidas, der seinen Sitz im fränkischen Herzogenaurach hat. Der Grund ist simpel: Nike zahlt besser.

Und wieder läuft den Deutschen ein kalter Schauer über den Rücken: Der gute deutsche Traditionskonzern soll durch »irgendeine amerikanische Phantasiemarke« (Boris Rhein, CDU, Ministerpräsident Hessen) ausgetauscht werden. Parteiübergreifend äußern deutsche Politiker erneut Wut, Trauer und Enttäuschung.

»Deutscher Fußball ist Heimat pur – und kein Spielball internationaler Konzernkämpfe«, betont Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und ist sich damit erstaunlich einig mit seinem Amtskollegen in Thüringen, Bodo Ramelow (Linkspartei), dem »die Reduzierung auf Geld und Dollarzeichen« Unbehagen bereitet. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hätte sich »ein Stück mehr Standortpatriotismus« gewünscht. Und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) beklagt eine Fehlentscheidung, bei der »Kommerz ein Stück Heimat vernichtet«.

Bei aller Differenz finden die Deutschen im Kampf gegen den angelsächsischen Raubtierkapitalismus offenbar immer noch zusammen. Hier haben sie in der Tat aus der Geschichte gelernt und wissen immer noch wie ihre Väter und Großväter zwischen natürlich und künstlich, Identität und Traditionslosigkeit, »sozialer Marktwirtschaft« und amerikanischer Raffgier zu unterscheiden. Das Böse kommt von außen und der deutsche Boden muss dagegen verteidigt werden.

»Das Wichtigste ist ja, dass Tore geschossen werden.« Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)

Mit der Realität der kapitalistischen Produktionsverhältnisse hat das nichts zu tun. Die Werkbank des Westens liegt immer noch in Asien, wo sich wegen niedriger Löhne und schlechter Arbeitsbedingungen am billigsten produzieren lässt. Das wissen sowohl Nike als auch Adidas, deren Hauptproduktionsstandorte sich jeweils in Vietnam befinden, teilweise sogar in denselben Fabriken.

Ein paar Unterschiede gibt es dann aber doch. Nike hat während des Nationalsozialismus keine Zwangsarbeiter in seinen Fabriken als Sklaven eingesetzt, ihre Firmengründer waren keine überzeugten Mitglieder der NSDAP und haben auch keine Waffen für die Nazis hergestellt – die Gebrüder Dassler Schuhfabrik, deren einer Inhaber, Adolf Dassler, später Adidas gründete, hingegen schon. Man habe »die eine oder andere Herausforderung gemeistert«, heißt es über die Firmengeschichte auf deren Internetseite. Über die Zeit zwischen dem ersten Eintrag im Handelsregister 1924 und dem Neuanfang am 18. August 1949 erfährt man dort nichts.

Dementsprechend unfreiwillig stimmig ist es, wenn Habeck über eine Firma, deren Vorgänger Hitlers Vernichtungskrieg mit ermöglichte und von diesem profitierte, sagt: »Adidas und Schwarz-Rot-Gold gehörten für mich immer zusammen.« Wenigstens Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kam aufs Wesentliche zurück: »Das Wichtigste ist ja, dass Tore geschossen werden.« Damit stellt er sich salomonisch hinter den DFB, ohne die besorgten Bürger vor den Kopf zu stoßen. Den patriotischen Gefühlen darf man sich ja gerne hingeben, ­solange sie ­dabei den Geschäften nicht in die Quere kommen.