Die sogenannte Schuldenbremse zwingt die Bundesregierung zu einem Sparhaushalt

Deutscher Sonderweg

Um die »Schuldenbremse« einzuhalten, muss die Bundesregierung sparen. Die Kosten der sogenannten Energiewende werden nun noch stärker als zuvor geplant auf die Verbraucher abgewälzt.

Ob China oder Frankreich: Überall in den kapitalistischen Zentren wurden in jüngster Zeit nach dem Motto »Nicht kleckern, sondern klotzen« riesige Konjunkturprogramme aufgelegt. In der westlichen Welt hat US-Präsident Joe Biden die Führungsrolle übernommen und einen Bruch mit dem neoliberalen Programm vollzogen. Der Interventionsstaat ist zurück und verspricht, mit gigantischen Subventionen den ökologischen Umbau in Gang zu bringen, die Arbeitslosigkeit aus der Welt zu schaffen und die Abhängigkeit von ausländischen Schlüsseltechnologien zu mindern.

Auch in Deutschland ging es, wenn auch beileibe nicht so gigantomanisch, in eine ähnliche Richtung – bis zum 15. November. An dem Tag verkündete das Bundesverfassungsgericht, dass die Umwidmung übriggebliebener Kreditermächtigungen aus dem Coronafonds für den Klima- und Transformationsfonds (KTF) nicht mit der im Grundgesetz festgeschriebenen sogenannten Schuldenbremse vereinbar ist. Damit tat sich eine Finanzierungslücke von 60 Milliarden Euro für die Klimaschutzprojekte auf. Das Urteil betraf auch den Wirtschaftsstabilisierungsfonds, weshalb im Bundeshaushalt 2024 weitere 15 Milliarden fehlten.

An sich hat das Urteil nur haushaltstechnische Bedeutung. Dem Verfassungsgericht lag es fern, den Handlungsspielraum der Regierung einzuschränken. Die Bundesregierung kann zwar ohne die Stimmen der Union die Schuldenbremse nicht abschaffen – eine Grundgesetzänderung erfordert eine Zweidrittelmehrheit. Doch sie könnte 2024 erneut eine »Notlage« erklären und dadurch die Schuldenbremse wie in den vergangenen Jahren außer Kraft setzen.

Um die Haushaltslücke zu schließen, ist der lange geplante Anstieg des CO2-Preises zum Jahreswechsel noch stärker ausgefallen als vorgesehen. Statt 40 Euro pro Tonne sind es jetzt 45.

Das Problem der Regierungskoalition ist jedoch, dass sie keine einheitliche haushaltspolitische Linie verfolgt. Wenn es nach den Grünen und der SPD ginge, würde Deutschland wohl auf den Mainstream-Kurs der kapitalistischen Kernstaaten einschwenken und eine expansive Haushaltspolitik betreiben.

Die FDP verfolgt dagegen zwei Ziele: Zum einen betreibt sie eine knallharte Klientelpolitik und tut alles, damit Unternehmen und Besserverdienende bei möglichst geringen Steuern und Abgaben möglichst große Zuflüsse aus dem Staatssäckel erhalten. Zum anderen behandeln Bundesfinanzminister Christian Lindner und Co. die Schuldenbremse als heilige Kuh. Beides wäre nur miteinander vereinbar, wenn die Regierung den Sozialstaat schleift. Doch ließe die SPD das zu, hätte sie weitere erhebliche Stimmenverluste zu erwarten.

Der Umleitungstrick, den das Bundesverfassungsgericht für unzulässig erklärt hat, war bereits das Ergebnis dieser wechselseitigen haushaltspolitischen Blockade innerhalb der Koalition. Indem diese »übriggebliebenes Sondervermögen« in den Klimafonds umbuchte, wollte sie sich die Austragung ihres internen Richtungsstreits ersparen. Umso verheerender tobt dieser jetzt.

Das vorläufige Ergebnis – der neu ausgehandelte Bundeshaushalt für 2024, der in Grundzügen schon vorliegt und Ende Januar beschlossen werden soll – trägt unverkennbar über weite Strecken die Handschrift der Lindner’schen doppelten Obstruktionspolitik.

Nach einer Studie des Umweltbundesamts zum Jahr 2018 fließen hierzulande allein auf Bundesebene etwa 65 Milliarden Euro pro Jahr in umweltschädliche Subventionen. Doch genau in dieser Hinsicht übt sich der Haushaltskompromiss in Zurückhaltung.

Es gibt zwar einige Ausnahmen: Im Dezember hieß es zum Beispiel, die Steuerbefreiung von Kerosin bei Inlandsflügen solle abgeschafft werden. Das wurde nach Protesten unter anderem der Lufthansa zwar fallengelassen, doch soll jetzt stattdessen die Luftverkehrsabgabe pauschal erhöht werden, was alle Flüge etwas teurer macht. Auch soll die steuerliche Begünstigung von Agrardiesel abgeschafft werden – gesetzt den Fall, dass die Landwirte, die für den Januar erneut Proteste dagegen angekündigt haben, nicht doch noch ihren Willen kriegen.

Doch vieles andere bleibt erhalten: Das Dienstwagenprivileg, die steuerliche Bevorzugung von Diesel – das gesamte über Jahrzehnte gewachsene Vergünstigungssystem für bestimmte Formen der Erzeugung und Nutzung fossiler Energien.

Gekürzt wird anderswo. Bürgergeld-Empfängern, die »zumutbare Beschäftigung« verweigern, sollen zukünftig die Bezüge komplett gestrichen werden können.

Gekürzt wird anderswo. Bürgergeld-Empfängern, die »zumutbare Beschäftigung« verweigern, sollen zukünftig die Bezüge komplett gestrichen werden können statt wie bisher nur um 30 Prozent. Der Bundeszuschuss zur gesetzlichen Rentenversicherung soll um 600 Millionen Euro gekürzt werden.
Ansonsten besteht der Haushaltskompromiss aus zwei Sparmaßnahmen: Zum einen schrumpft der KTF, zum anderen werden die Kosten für den Umbau des Energiesystems auf die privaten Verbraucher abgewälzt. Dem KTF stehen nächstes Jahr 12,7 Milliarden Euro weniger zur Verfügung. Die Kaufprämien für Elektroautos sind, früher als vorgesehen, schon Mitte Dezember ausgelaufen. Auch Kürzungen bei der Solarenergieförderung wurden angekündigt.

Freilich ist eine »Energiewende«, die nicht mit dem Primat des Autos bricht und sich darauf konzentriert, Verbrenner durch Elektroautos zu ersetzen, ein Etikettenschwindel. Denn die Elektromobilität wird die CO2-Bilanz des Individualverkehrs nicht ausreichend verbessern.

Der größte soziale Sprengstoff steckt im zweiten Punkt. Die Ampelkoalition hatte eigentlich versprochen, ihre von höheren CO2-Preisen begleitete »Energiewende« sozial abzufedern. Im Koalitionsvertrag wurde ein »Klimageld« in Aussicht gestellt, das vor allem mittleren und niedrigen Einkommen einen Ausgleich für steigende Strom- und Gaspreise bieten sollte. Doch inzwischen heißt es aus dem Finanzministerium, das zwar der »Mechanismus« für die Auszahlung wie geplant ab 2025 zur Verfügung stehen werde, aber noch nicht entschieden sei, ob das Klimageld jemals ausgezahlt wird.

Dabei werden Strom, Heizen und Benzin in den nächsten Jahren absichtlich verteuert, indem die Bundesregierung die CO2-Preise anhebt. Um die Haushaltslücke zu schließen, ist der lange geplante Anstieg des CO2-Preises zum Jahreswechsel noch stärker ausgefallen als vorgesehen. Statt 40 Euro pro Tonne sind es jetzt 45. Gleichzeitig fällt die sogenannte Energiepreisbremse der Schuldenbremse zum Opfer, und auch die Netzentgelte, die den Netzausbau für die privaten Betreiber lukrativ machen sollen, steigen. Vor allem beim Strom dürften deshalb auf die privaten Haushalte noch einmal Mehrbelastungen zukommen. Wirksamer kann man den Klimaschutz kaum desavouieren.