Bürgerbegehren gegen Geflüchtete
Die Zahl der Asylsuchenden in Deutschland steigt deutlich. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres sind beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) über 150.166 Erstanträge auf Asyl eingegangen. Im ersten Halbjahr des Vorjahres lag die Zahl noch bei 84.583. In Nordrhein-Westfalen hat das Familienministerium den Kommunen nun eine vorzeitige Zuweisung von Geflüchteten angekündigt, um die Erstaufnahmeeinrichtungen schneller zu entlasten. Auch in den anderen Bundesländern müssen sich die Kommunen auf die Aufnahme weiterer Flüchtlinge vorbereiten. Städte und Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern etwa, die sich bei der Unterbringung von Flüchtlingen engagieren, bekommen vom Land zusätzliche Finanzmittel zur Verfügung gestellt.
Der Ausbau der Aufnahmekapazitäten stößt jedoch auf Widerstand in der Bevölkerung. Während sich Gemeinden, Kreise, Land und Bund die Verantwortung weiter gegenseitig zuschieben, erwächst aus dem Instrument des Bürgerbegehrens ein weiteres Problem. In Upahl im Landkreis Nordwestmecklenburg wird seit Anfang des vergangenen Jahres gegen die Errichtung einer Unterkunft für Geflüchtete im Gewerbegebiet protestiert.
Anfang dieses Jahres hatte die Gemeindevertretung beim Verwaltungsgericht Schwerin Klage gegen den Bau eingereicht, weil sie nicht in die Planung einbezogen worden war. Der Widerspruch der Gemeinde wurde letztinstanzlich zwar abgelehnt, aber anstatt der ursprünglich geplanten 400 sollen nun maximal 250 Plätze für Geflüchtete in der Containerunterkunft entstehen.
»Die flächendeckende Ablehnung der Gemeinden einer Unterbringung Geflüchteter, teilweise vorauseilend, ohne dass konkrete Pläne vorlagen, ist im Landkreis Nordwestmecklenburg schon auffällig«, sagte Robert Schiedewitz, Mitarbeiter der Landesweiten Opferberatung für Betroffene von rechter Gewalt (Lobbi), der Jungle World. »Teile der Gemeindevertretung in Upahl sind nach wie vor auch an der Organisation von Protesten beteiligt«, so Schiedewitz weiter. Statt lösungsorientiert oder im Sinne der Hauptleidtragenden, nämlich der Geflüchteten, vorzugehen, werde der Aufstand geprobt, »mit Unterstützung von Rechten und Neonazis«.
»Teile der Gemeindevertretung in Upahl sind auch an der Organisation von Protesten beteiligt.« Robert Schiedewitz von der Landesweiten Opferberatung für Betroffene rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern
In der Universitäts- und Hansestadt Greifswald im Landkreis Vorpommern-Greifswald stimmte im Juni eine Mehrheit gegen die Unterbringung von Geflüchteten. An einem Bürgerbegehren dagegen, dass die Stadt dem Landkreis Flächen zur Unterbringung von Flüchtlingen verpachtet, nahm knapp die Hälfte aller Wahlberechtigten teil. 65 Prozent davon stimmten gegen die Verpachtung. »Viele hatten erwartet, dass Greifswald mit seinen vielfältigen antirassistischen Projekten ein Zeichen gegen die rassistische Kampagne setzen kann«, so Schiedewitz. Stattdessen stimmten »zwei Drittel der Wähler jedoch gegen die Unterbringung«. Insbesondere die örtliche CDU sowie die AfD hatten zuvor gegen die Unterkunft agitiert und die Stimmung vor Ort mit angeheizt.
In der benachbarten Stadt Pasewalk, die zum selben Landkreis gehört, schloss die Bürgerschaft, also der Stadtrat der Hansestadt, laut Schiedewitz eine Aufnahme von Flüchtlingen auf Grundstücken der Gemeinde aus; Schiedewitz weist darauf hin, dass es dafür noch keine konkreten Pläne gegeben habe. Demnächst sei unter anderem ein weiterer Bürgerentscheid in Grevesmühlen (Landkreis Nordwestmecklenburg) geplant. Ebenso im brandenburgischen Prenzlau, wo die AfD ein Bürgerbegehren gegen die Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften initiiert hat. Ob es dazu kommt, wird voraussichtlich Ende September nach Sichtung aller Unterlagen entschieden.
Auch in Sachsen bedarf es zusätzlicher Unterkünfte. In der Landeshauptstadt Dresden sucht die Verwaltung deshalb händeringend nach Grundstücken – und stößt auf Widerstand der Stadtbezirke. »Ich habe dem Oberbürgermeister mitgeteilt, dass wir hier keine geeigneten Flächen für Unterkünfte haben«, sagte der Ortsvorsteher der zu Dresden gehörenden Ortschaft Cossebaude, Lutz Kusche (CDU), Mitte August Tag 24. Kusche sicherte sich hierfür die Unterstützung der Ortsbeiräte und brachte einen Antrag in den Ortsbeirat ein, der von der AfD um folgende Passage ergänzt wurde: »Der Ortschaftsrat lehnt die Ortschaft als künftigen Standort für Asylbewerberunterkünfte jeglicher Form im Interesse des Gemeinwohls der Bürger von Cossebaude ab«. Für den Ergänzungsantrag gab es Zustimmung einzelner Vertreter der CDU sowie der Linkspartei.