Repression und Abschreckung senken die Zahlen nicht

Der europäische Krieg gegen Flüchtlinge

Deutsche Politiker versprechen ein härteres Durchgreifen gegen illegale Migration. Tatsächlich kommen nach Deutschland vor allem Asylbewerber, deren Aufenthalt und Antragstellung rechtlich verbrieft sind.

Man sagt, im Krieg sterbe die Wahrheit zuerst. So ist es auch in der derzeitigen Asyldebatte, die durchaus als Krieg gegen Flüchtlinge bezeichnet werden kann. Wenn dauernd von »illegaler Mi­gration«, »unkontrollierter Zuwanderung« und Ähnlichem die Rede ist, wäre dagegen angezeigt, einfach Tatsachen festzustellen (wenn auch vermutlich ohne Aussicht auf Erfolg): Es gibt weder nach Europa im Allgemeinen noch nach Deutschland im Besonderen illegale Migration in relevantem Ausmaß, wie sie beispielsweise aus Latein- und Südamerika in die USA stattfindet. Ebenso wenig findet unkontrollierte Zuwanderung statt, ganz im Gegenteil hat es noch nie derartige scharfe und umfassende Grenzkontrollen gegeben.

Was es hingegen gibt, sind Menschen, die in europäischen Ländern einen Antrag auf Asyl stellen. Wer dies tut, ist nicht weiter illegal, sondern Inhaber eines Rechtstitels. Das entspricht auch ganz dem Geiste der Genfer Flüchtlingskonvention und dem nationalen Asylrecht. Der Rechtstitel kann dann, je nach Fall, »Asylantragsteller«, »anerkannter« oder auch »abgelehnter Asylbewerber« lauten. Zum Asylrecht gehört allerdings auch das Recht, überhaupt einen Asylantrag bei einer zuständigen Einrichtung zu stellen.

Das unterscheidet einen Asylbewerber vom illegalen Migranten. Ersterer muss inzwischen in den meisten Fällen illegal in Europa einreisen; sobald er allerdings Asyl beantragt, spielt es keine Rolle mehr, wie er in das jeweilige Land gekommen ist. Illegale Migranten hingegen vermeiden jeglichen Kontakt mit Behörden und suchen Anstellung auf dem Schwarzmarkt, der beispielsweise in den USA boomt und auf dem sie beliebte Arbeitskräfte darstellen, weil sie billig und rechtlos sind.

Mehr Repression führt nicht zu weniger Flüchtlingen, sondern lediglich dazu, dass weltweit die Mafia, autoritäre Regimes, allerhand Milizen und Islamisten Unsummen im Schleusergeschäft verdienen.

Die sprachlichen Verzerrungen haben System. Wer Zeitung liest oder Politikerinnen und Politikern zuhört, muss längst den Eindruck gewinnen, dass Europa unter einem Ansturm illegaler Migranten ächze und nicht etwa einen relativ kleinen Teil der Folgen davon zu spüren bekommt, dass immer mehr Menschen auf dieser Welt unter Krieg, Unterdrückung und Vertreibung zu leiden haben. Jahr für Jahr steigt die Zahl von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen um mindestens zehn Millionen, Ende 2022 waren es laut UN-Flüchtlingswerk weltweit fast 110 Millionen.

Die überwiegende Mehrheit sucht als Binnenvertriebene Zuflucht im eigenen Land oder gelangt bestenfalls in ein Nachbarland. Dort ist die Lage meist wenig besser, denkt man beispielsweise an die Flüchtlinge aus dem Sudan in Niger und Tschad. Wer diejenigen, die es bis nach Europa schaffen, dann fälschlich als »Illegale« tituliert, erweckt den Eindruck, es handle sich um ein Sicherheitsproblem und nicht um eines von Rechtsansprüchen. Entsprechend militarisiert sich Sprache so, als befände man sich in einer Art Krieg gegen Invasoren oder fremde Heere, denen nur mit immer höheren Grenzzäunen, Abschottung, Satellitenüberwachung und der Marine begegnet werden könne.

Dass wegen der ständig zunehmenden Zahl von Flüchtlingen weltweit die Abschottungspolitik zwangsläufig immer wieder von der Realität eingeholt wird, erfuhr erst jüngst Italien, wo unter der rechtspopulistischen Regierung von Giorgia Meloni dieses Jahr mehr Flüchtlinge ankamen als je zuvor. Einmal mehr folgte die Reaktion der italienischer Regierung und der EU dem bekannten Muster: Man rief nach schärferen Grenzkontrollen, schnelleren Asylverfahren, beschleunigten Abschiebungen und einer Verschlechterung von Lebensbedingungen in Aufnahmeeinrichtungen, um sogenannte Pull-Faktoren zu minimieren.

Ganz ähnlich machte schon Ende der neunziger Jahre die rot-grüne Regierung und da vor allem Innenminister Otto Schily (SPD) Stimmung gegen Flüchtlinge. Nichts an diesen Konzepten ist neu, und sie haben auch nie einen starken Rückgang der Zahl von Asylantragstellern bewirkt. Entsprechendes gilt für die Forderung nach schnelleren Abschiebungen. Denn verschwiegen wird, dass viele abgelehnte Asylbewerber gar nicht abgeschoben werden können, teils aus juristischen, teils aus praktischen Gründen. Seit Jahren steigt weltweit die Zahl der Länder, die als failed states zu klassifizieren sind, in die Abschiebungen schlicht nicht möglich sind. Manche Länder weigern sich auch strikt, eigene Staatsbürger, die im Ausland Asyl beantragt haben, zurückzunehmen.

So gibt es immer mehr Menschen, die nirgendwo erwünscht sind, denn kein Land der Welt möchte Zehntausende Flüchtlinge beherbergen, die in absehbarer Zeit nicht verschwinden werden. Die Türkei, von vielen als Vorbild für Migrationskon­trolle angeführt, stellt mit dem EU-Deal für syrische Flüchtlinge da eine Ausnahme und nicht den Regelfall dar.

Es hilft nicht, wenn Olaf Scholz jetzt von einer neuen Härte spricht, die in der Asylpolitik nötig sei. Das Beispiel Italien, wo eine Regierung mit genau diesem Versprechen antrat, sollte zeigen, dass solche Härte mehr Leid und Elend produziert, aber nicht die gewünschten Resultate zeitigt.

Kurzum, mehr Repression führt eben nicht zu weniger Flüchtlingen, sondern lediglich dazu, dass weltweit die Mafia, autoritäre Regimes, allerhand Milizen und Islamisten Unsummen an Menschenschmuggel und im Schleusergeschäft verdienen. Wo ausreichend Nachfrage herrscht, so das eherne Gesetz im Kapitalismus, entstehen Angebote, und immer öfter verdienen auch noch diejenigen an der Flucht, vor denen die Menschen fliehen. In diesem »war on refugees«, und das unterscheidet ihn vom US-amerikanischen »war on drugs«, sind Flüchtlinge beides: Feind und Waffe zugleich. Denn inzwischen reicht oftmals schon die Drohung eines Autokraten, man werde eine Grenze öffnen, um sofort finanzielle und andere Unterstützung aus der EU zu erhalten.

Die EU-Flüchtlingspolitik trägt so dazu bei, genau jenes Problem zu vergrößern, das sie eigentlich bekämpfen will. In den USA sind Experten sich längst einig, dass der »war on drugs« in jeder Hinsicht kläglich gescheitert ist, nur traut sich nach all den Jahrzehnten kein Politiker, das auch nur auszusprechen. Ganz ähnlich verhält es sich mit dem europäischen Krieg gegen Flüchtlinge. Statt anzuerkennen, dass die bisherigen Strategien nicht nur unmenschlich, sondern auch gemessen an ihren eigenen Zielen gescheitert sind, wird noch mehr Härte gefordert und die Sprache zu einer des Kriegs verschärft.

Da aber Regierungen nicht liefern können, was sie versprechen, erscheinen sie schwach und nicht willens, sich durchzusetzen. Da hilft es auch nicht, wenn der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) jetzt von einer neuen Härte spricht, die in der Asylpolitik nötig sei. Das Beispiel Italien, wo eine Regierung mit genau diesem Versprechen antrat, sollte zeigen, dass solche Härte mehr Leid und Elend produziert, aber nicht die gewünschten Resultate zeitigt. Einzig jene, die versprechen, wirklich ernst zu machen, wenn sie denn nur an die Macht kämen, werden davon gestärkt – bis auch sie an der Realität scheitern und am Ende abgelöst werden von anderen, die noch mehr Härte versprechen.