Eyal Nouri kämpft für die Freilassung seiner Tante Adina Moshe, die in den Gaza-Streifen verschleppt wurde

»Wir wissen, dass sie dort ist und lebt«

Eyal Nouri kämpft nach dem Massaker im Kibbuz Nir Oz für die Befreiung der Geiseln.

Zwei Wochen nach dem Angriff der Hamas findet das Online-Interview mit Eyal Nouri statt. Der 56jährige ist Geschäftsführer eines Unterneh-mens für medizinische Geräte und spricht in Tel Aviv über das, was am 7. Oktober im Kibbuz Nir Oz, nur zwei Kilometer entfernt von der Grenze zum Gaza-Streifen, geschehen ist. 400 Einwohner zählte der Kibbuz vor dem Massaker. 180 davon fehlen nun. Sie wurden von der Hamas entführt oder getötet. Darunter sind Eyals Onkel Said Moshe, der ermordet wurde, und seine Tante Adina, Saids Frau, die entführt wurde.

Seit einem halben Jahrhundert lebten die beiden in dem Kibbuz. Sie heirateten 1970, zogen vier Kinder groß – Maya, Yael, Amos und Sasson –, scharten zwölf Enkelkinder um sich. »Jedes Jahr haben mein Onkel und meine Tante die ganze Familie im Kibbuz beherbergt. Es war eine schöne Zeit.«

Said arbeitete in der Verwaltung und war für den Anbau auf den Feldern zuständig. Adina war bis zu ihrer Pensionierung im Bildungsbereich tätig. Beide glaubten fest an die friedliche Koexistenz mit den Palästinensern, pflegten Freundschaften, gaben Ernteüberschüsse an bedürftige Palästinenser. »Sie hatten bis zum 7. Oktober ein gutes Verhältnis zu ihnen.«

Erst am Vortag des Angriffs kehrte Said von einer Reise aus Spanien zurück, um eine Gedenkfeier für den 13. Oktober vorzubereiten, die er seinem älteren Bruder, Sasson Moshe, der vor genau 50 Jahren im Yom-Kippur-Krieg getötet worden war, widmen wollte. Am Tag nach seiner Rückkehr, es ist der jüdische Feiertag Simchat Tora, war dann nichts mehr wie zuvor.

»Wir sind nicht in einer Situation wie 1942, als die Juden von den Nazis abgeschlachtet worden sind. Wir werden zurückschlagen.«  Eyal Nouri

»Es geht der Hamas nicht nur ums Töten«, sagt Eyal, »sie wollen die Opfer und alle Israelis terrorisieren.« Die Taten vom 7. Oktober sprengten jede Vorstellungskraft. 2.000 Hamas-Terroristen, die Israel überfallen, übertrafen »den schlimmsten Alptraum«. Eyal erzählt von Bildern, Nachrichten und Videos, die sogleich kursierten und die Menschen auf-schreckten. Ein Freund rief sofort bei Adina an, wollte wissen, was bei ihnen los war. Adina sagte: »Es gibt viele Terroristen, arabische Stimmen überall, wir sind im Schutzraum eingeschlossen – wir wissen nicht, was wir tun sollen.«

Nur einige Häuser weiter versuchten die Terroristen, in das Haus von Adina und Saids Sohn, Amos Moshe, einzudringen. Amos, der sich zu-sammen mit seiner Frau Corin und seinen fünf Kindern sieben Stunden lang im Schutzraum einschloss, ließ niemanden hinein, obwohl auf die Tür Schüsse und Granaten abgefeuert wurden. Die Terroristen hielten sich stundenlang in Amos’ Haus auf. »Er hielt den Türgriff. Er hielt den Türgriff oben, die Terroristen versuchten, ihn herunterzudrücken. Die Frage, wer stärker ist, wurde zur Frage über Tod oder Leben. Er wusste, wenn er loslässt, werden er und seine Familie massakriert.«

Die Terroristen steckten das ganze Haus in Brand. Die Feuerschutzanlage rettete die Bewohner vor dem Ersticken. Der Türgriff glühte, Amos verbrannte sich die Hände, dennoch hielt er ihn sieben Stunden lang fest. Eingeschlossen in diesem Raum mussten sie mitanhören, was in der Nachbarschaft vor sich ging. »Niemand wird mit geschlossenem Mund abgeschlachtet. Die Menschen schrien um Hilfe. Sie hörten die Schreie ihrer Freunde.«

Als die israelischen Sicherheitskräfte Amos nach sieben Stunden retteten, telefonierte er sofort mit seiner Schwester Yael. Sie sagte ihm, er solle schnell nach den Eltern sehen, der Telefonkontakt sei abgebrochen. Amos ging zum Haus der Eltern und sah, dass dieses komplett niedergebrannt war. Amos’ Vater Said war von Dutzenden Kugeln getötet worden. Seine Mutter Adina wurde vermisst.

Von der Hamas verschleppt: Adina Moshe

Von der Hamas verschleppt: Adina Moshe

Bild:
privat

Am Samstagnachmittag erfuhr Eyal dann von seiner Schwester, dass sein Onkel ermordet worden war und seine Tante vermisst wurde. Eyal und seine Familie suchten im Internet nach Informationen. »In den Nachrichten wurde das ganze Ausmaß des Massakers zu diesem Zeitpunkt noch nicht kommuniziert. Durch einen Beitrag der Nachrichtenagentur AP erfuhren wir, dass meine Tante Adina Moshe nach Gaza entführt wurde, und wir sahen ein Video, das von der Hamas auf Telegram veröffentlicht wurde. Wir haben gesehen, dass meine Tante von zwei Hamas-Terroristen auf einem Motorrad entführt wurde.«

Später sahen sie ein weiteres Video, das Adina auf einem Motorrad im Gaza-Streifen zeigt. »Wir sahen, dass sie am Leben ist, ohne ihre Brille und ihre Schuhe, wir sahen kein Blut, aber die Angst in ihrem Gesicht.«

Eyal und seine Familie fordern die sofortige Freilassung von Adina Moshe und allen anderen Geiseln. »Wir wissen, dass sie dort ist und lebt.« Die Hamas sei keine »Konfliktpartei«, sagt er. Der Unterschied sei, dass die israelische Armee die Zivilisten in Gaza vor den Gegenangriffen warnt, die Hamas hingegen die Zivilbevölkerung als Schutzschild benutzt. Die Hamas vergleicht er mit dem Iran und Nordkorea: »Sie töten ihre eigenen Leute. Das sind keine Freiheitskämpfer. Das sind Mörder. Die Welt denkt, die Israelis seien gegen die Palästinenser. Das stimmt aber nicht, wir sind gegen die Hamas, und die Hamas muss voll-ständig zerstört werden. Israel ist stark und hat starke Bewohner.« Er fragt: »Stell dir vor, auf Berlin würden an einem einzigen Tag 1.000 Raketen abgefeuert werden. Könntet ihr damit leben?«

Adina mit ihrem Ehemann Said Moshe, der am 7. Oktober ermordet wurde

Adina mit ihrem Ehemann Said Moshe, der am 7. Oktober ermordet wurde

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privat

Adina ist 72 Jahre alt. Sie weiß, dass ihr Mann nicht mehr lebt. Auf ihrem Handy, das später gefunden wird, hatte sie kurz vor ihrer Entführung an ein anderes Opfer des Überfalls geschrieben: »Der Terrorist hat Said erschossen. Was soll ich tun? Wie das Blutbad stoppen?

Alle in seinem Umfeld, erzählt Eyal, seien traumatisiert, viele könnten das Geschehene noch immer nicht begreifen. »Ich habe mit meinem Cousin gesprochen. Als ich mit ihm gesprochen habe, hat er nicht verstanden, was passiert ist.« Seine Tochter hat gerade erst die Beerdigung einer Freundin besucht, die beim Supernova-Festival ermordet worden war. Dennoch versucht jeder zu helfen, so gut es geht: Sie sammeln Spenden, sie demonstrieren vor dem Regierungssitz für die Freilassung der Geiseln. Es gehe auch nicht nur seiner Familie so, betont er. Bei über 230 Geiseln kennt jeder jemanden, der jemanden kennt.

»Wir helfen uns gegenseitig.« Eyal spricht von einer überwältigenden Solidarität in der jüdischen Gemeinschaft. Seine Tochter hilft im Krankenhaus, auch sein Sohn engagiert sich freiwillig. Auch wenn der Schock tief sitzt, wollen sie stark sein und die Verhältnisse endlich verändern: »Wir sind nicht in einer Situation wie 1942, als die Juden von den Nazis abgeschlachtet worden sind. Wir werden zurückschlagen. Israel ist eine Hightech-Nation, es gibt sehr viele Bereiche, in denen wir stark sind, ob Hightech, Medizin, Landwirtschaft oder Verteidigung. Wir sind für das Leben und helfen Menschen. Wenn die Hamas besiegt ist, wird es wieder aufwärts gehen. Israel ist so stark.«

Eyal atmet tief durch, wenn er wieder über seine Tante spricht; er will sich nicht ausmalen, was sie durchmacht. Adina hat gesehen, wie ihr Ehemann ermordet wurde, Said, den sie 50 Jahre geliebt hat. Außerdem weiß sie nicht, dass ihr Sohn Amos, seine Frau Corin und ihre fünf Kinder überlebt haben. »Said und Adina«, sagt Eyal, »waren das beste Paar, das man sich vorstellen kann.«

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Kontakt und Infos beim Hilfsprojekt der Angehörigen: https://keren-hayesod.de/projekte/notfallkampagne/oktober-23