Karriereorientierung und Selbstgerechtigkeit werden allzu leicht mit Zensur und Repression verwechselt

Von Stammheim nach Gaza: Meinungen und ihr Marktwert

Nicht ­zufällig sind Kultur- und Wissenschaftsszene die ausdauerndsten Lieferanten für Nachschub bei offenen Briefen und sonstigen Stellungnahmen zum Gaza-Krieg. Es geht nicht zuletzt um den Marktwert der Unterzeichnenden. Mit staatlicher Repression hat das Ganze wenig zu tun, wie auch ein Blick in die Geschichte zeigt.
Was kümmert mich der Dax Von

Wer nach staatlichen Einschränkungen der Meinungsfreiheit in der westdeutschen Geschichte sucht, wird in den Jahren rund um den »Deutschen Herbst« wohl am besten fündig. Im September 1977 etwa sagte der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) nach der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer durch die Rote Armee Fraktion (RAF), Sympathisant des Terrorismus »kann schon sein, wer Baader/Meinhof-Gruppe statt -Bande sagt«.

Das war nun wirklich einmal ein enger Meinungskorridor, den nicht zu verlassen auch erforderte, die RAF als rein kriminelle Organisation zu sehen – deshalb ­sollte die Eigenbezeichnung nicht verwendet werden –, sich aber nicht da­rüber zu wundern, dass anders als bei gewöhnlicher Bandenkriminalität de facto ein Staatsnotstand ausgerufen wurde. Tabuisiert war zudem auch lange Jahre nach der Ermordung Schleyers jegliche Erwähnung seiner NS-Vergangenheit.

Die Repression war sporadisch, aber es gab Risiken. Nunmehr ertönt aus weiten Teilen der Linken aus weit geringerem Anlass als im »Deutschen Herbst« ausdauerndes Gejammer über die Einschränkung der Meinungsfreiheit, etwa wenn Staatsknete gestrichen oder ein Preis nicht verliehen wird.

Dahinter steht zumindest implizit die Erwartung oder Forderung, für eine vorgeblich unbequeme Meinung gelobt und belohnt zu werden. Nicht ­zufällig sind Kultur- und Wissenschaftsszene die ausdauerndsten Lieferanten für Nachschub bei offenen Briefen und sonstigen Stellungnahmen zum Gaza-Krieg.

Jenseits des unsäglichen Inhalts der Bekundungen sogenannter Palästina-Solidarität zeigt sich auch, dass in den betreffenden Milieus die Orientierung auf staatliche Subventionskultur so selbstverständlich geworden ist, dass man außerhalb dieses Rahmens kaum noch denken kann – oder will.

Es geht nicht zuletzt um den Marktwert der Unterzeichnenden, ob Club oder Einzelperson. Diesen steigert eine antiisraelische Haltung in den betreffenden Milieus, und dies kann in noch stärkerem Maß der Fall sein, wenn es eine medienwirksame, aber symbolische Sanktion gibt. Wie bei den Rechten bleibt daher meist unklar, ob es sich bei der Klage über mangelnde Meinungsfreiheit um ein taktisches Mittel oder ehrliche Empörung handelt; Karriereorientierung und Selbstgerechtigkeit können aber auch Hand in Hand gehen.

Jenseits des unsäglichen Inhalts der Bekundungen sogenannter Palästina-Solidarität zeigt sich auch, dass in den betreffenden Milieus die Orientierung auf staatliche Subventionskultur so selbstverständlich geworden ist, dass man außerhalb dieses Rahmens kaum noch denken kann – oder will. Das ließe sich ausnützen, schließlich bietet die staatliche Subventionspolitik wie in anderen Bereichen des Kapitalismus Möglichkeiten, das Marktgeschehen zu beeinflussen. Die insgesamt sehr milden Reaktionen zeigen jedoch, dass der Widerspruch zwischen antiisraelischen Aussagen der Subventionshungrigen und der »Staatsräson«, für die Sicherheit Israels einzustehen, in der Kulturpolitik nicht allzu wichtig genommen wird.