Wurmkot unter Verdacht

Die schleswig-holsteinische Kommission zur Aufklärung von Leukämieerkrankungen in der Nähe des AKW Krümmel hat nach zehn Jahren ihre Arbeit eingestellt. von jan freitag

Die vergangene Woche war eine gute für Deutschlands Atomwirtschaft. Erst verkündete der Verband der Elektrizitätswirtschaft (VDEW), dass der Anteil der Atomkraft bei der Stromgewinnung im Jahr 2003 mit 28 Prozent seit 1993 stabil geblieben ist. Dann zogen sich ein paar der größten Querulanten im Norden der Republik selbst aus dem Verkehr.

Sie gehörten jener Leukämiekommission an, die Schleswig-Holsteins Regierung vor gut zehn Jahren ins Leben gerufen hatte, und traten zurück, weil sie ihren Job offenbar zu gewissenhaft machten. Zwischen 1989 und 1991 hatte sich im Umfeld des AKW Krümmel die Zahl der Fälle von Leukämie bei Kindern signifikant erhöht. Als der Skandal öffentlich wurde, beauftragte die damalige Landesregierung unter Björn Engholm eine ehrenamtliche Expertengruppe mit der Untersuchung.

Das achtköpfige Team ging an die Arbeit, und als drei Jahre später die Grünen ins Kieler Kabinett einzogen, schien eine Aufklärung der Krankheitsfälle wahrscheinlich. Sogar die Schließung des umstrittenen Meilers, der schon bei seiner Inbetriebnahme vor 21 Jahren als störanfällig galt, schien möglich. Die Anti-Atombewegung war zuversichtlich.

Zu Unrecht: Statt Unterstützung zu erhalten, wurden der Kommission auch unter der jetzigen Ministerpräsidentin Heide Simonis Schwierigkeiten gemacht. Als die Kommission der Landesregierung vor sieben Wochen mitteilte, sie gehe davon aus, dass die Leukämiefälle auf Experimente mit Kleinatomwaffen der »Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schifffahrt« (GKSS) zurückzuführen seien, reagierten die Politiker gar nicht. Dies mag der ausschlaggebende, aber gewiss nicht der einzige Grund dafür gewesen sein, dass sechs der Experten zurücktraten, zu viele für den Fortbestand der Kommission. Der Toxikologe Otmar Wassermann, Vorsitzender des Gremiums, sprach von »Diffamierungskampagnen« und warf dem Land »Verschleierungspolitik« vor.

Die Atomlobby kann mit dem Untersuchungsergebnis zufrieden sein. Schließlich zog die Kommission ihren lange als erwiesen geltenden Vorwurf zurück, das AKW Krümmel sei für die sechs Leukämiefälle in der niedersächsischen Elbmarsch verantwortlich. Stattdessen einigten sich die Fachleute auf die These, bei der GKSS habe man Mitte der achtziger Jahre mit Plutonium zur Herstellung von Sprengköpfen im Aktentaschenformat hantiert. »Geheim gehaltene kerntechnische Sonderexperimente« hätten stattgefunden, und das Völkerrecht sei gebrochen worden. So wurden 1986 im Raum Geesthacht Kügelchen des Bombenmaterials Plutonium 239 gefunden, in Kiel offiziell »Wurmkot« genannt. Bereits im Jahr 2001 hatte die Gießener »Arbeitsgemeinschaft Physikalische Analytik und Messtechnik« den gleichen Verdacht. Die Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg erstatteten damals schon Strafanzeige gegen die GKSS. Auch die Landesregierung machte nach einiger Zeit Front – gegen die Boten: Plötzlich galten die Kommissionsmitglieder als »Verschwörungstheoretiker«.

Deren Kollegen von der anderen Seite der Elbe unterstützen die schleswig-holsteinische Landesregierung. Hinweise auf einen Atomunfall lägen nicht vor, beteuert der Vorsitzende der niedersächsischen Untersuchungskommission Erich Wichmann. Otmar Wassermann betrachtet die benachbarte Kommission wegen Wichmanns Tätigkeit beim regierungsnahen GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit als »nicht unabhängig«. Die GKSS sei im Dunstkreis des Atomministers Franz-Josef Strauß und des ausgewiesenen Freundes nuklearer Waffentechnik Erich Bagge entstanden.

Eine endgültige und offizielle Aufklärung ist nun unwahrscheinlicher denn je.