Antisemiten rechts und links
Nach dem Überfall der Hamas auf Israel haben lange schwelende linke Konflikte in Deutschland wieder an Intensität gewonnen. Kürzlich zeigte sich das bei einer geplanten antifaschistischen Demonstration im thüringischen Eisenach. Die Stadt ist bekannt für ihre gewaltbereite Nazi-Szene. Eigentlich hätte der Protest am 18. November stattfinden sollen. Antifaschist:innen aus ganz Deutschland planten, dafür anzureisen. Doch kurz vorher sagten die Organisator:innen die Demonstration ab. Zur Begründung gaben sie an, dass die Gruppe Young Struggle (YS) darauf bestanden hatte, an der Demonstration teilzunehmen – gegen den ausdrücklichen Wunsch der Organisator:innen.
YS war schon mehrfach durch antisemitische Positionen aufgefallen. Den Überfall der Hamas pries die Gruppe am 10. Oktober unter der Überschrift »Die al-Aqsa-Flut – Der Gefängnisausbruch des palästinensischen Volkes«. Die »unnötige Ermordung von Zivilist:innen« sei zwar bedauerlich, hieß es im Text, sie ändere aber »nichts an der Legitimität des Befreiungsschlags«.
Im Gespräch mit der Jungle World rekonstruiert Tobias von der Antifaschistischen Linken Eisenach die Ereignisse, die zur Absage führten. Das Bündnis setzte sich aus unterschiedlichen Organisationen aus dem gesamten Bundesgebiet zusammen. Unter diesen eingeladenen Gruppen befanden sich auch die Gruppen Zora und die Offensive Jugend Dessau (OJD). Erstere arbeite eng mit YS zusammen, zweitere firmiere mittlerweile offen als Ortsgruppe von YS, so Tobias. Im Gespräch betont er, dass sich der Vertreter der OJD lange Zeit über die Verbindungen zu YS bedeckt gehalten habe – bis er sich »verquatscht« habe. »Wir haben uns dann zwar vorgenommen, das im Auge zu behalten, aber das ist schlicht untergegangen. Wir haben allerdings vor dem 7. Oktober auch keinen Grund gesehen, diese Gruppen auszuschließen.«
Wirklich in den Mittelpunkt rückte das Problem erst, als die Organisator:innen eine Woche vor der Demonstration bei einem Vernetzungstreffen Thüringer Antifaschist:innen in Suhl informiert wurden, dass YS auch offiziell zur Demonstration in Eisenach aufruft. Kurz darauf veröffentlichten die Organisator:innen eine Stellungnahme »Gegen jeden Antisemitismus«, in der sie deutlich machten, dass antisemitische Gruppen wie YS auf der Demonstration nicht erwünscht sind.
In der antiimperialistischen Filterblase wurde die Absage mit Rassismusvorwürfen kommentiert. Erfreut auf die Absage reagierte der Eisenacher Neonazi-Funktionär Patrick Wieschke.
»Wir haben damit gerechnet, dass die unsere Wünsche respektieren und sie das Anliegen der Demonstration hinter ihre politische Agenda zurückstellen. Da waren wir wohl einfach naiv«, sagt Tobias. Bereits nach der Stellungnahme sah sich das Bündnis in den sozialen Medien Anfeindungen ausgesetzt. »Dass wir angeblich keine Migrant:innen auf der Demo wollen, gehört da noch zum Harmloseren. Manche Beiträge haben wir als explizite Gewaltandrohung verstanden und waren einigermaßen sprachlos.«
Da YS jedoch weiterhin zur Demonstration aufrief, sahen sich die Organisator:innen gezwungen, die Demonstration abzusagen. In ihrer Stellungnahme dazu betonten sie, dass ihnen diese Entscheidung nicht leicht gefallen sei. Sie hätten sich jedoch in einem Dilemma befunden: Die Teilnahme von YS still zu dulden, hätte bedeutet, dass ihre Haltung gegen Antisemitismus zur bloßen Pose verkommt. Hätten sie hingegen versucht, YS-Mitglieder aus der Demonstration zu entfernen, wäre eine intensive Auseinandersetzung zu erwarten gewesen. Das hätte die Polizei als Anlass nutzen können, um die Demonstration gewaltsam zu beenden.
In der antiimperialistischen Filterblase wurde die Absage mit Rassismusvorwürfen kommentiert. Erfreut auf die Absage reagierte der Eisenacher Neonazi-Funktionär Patrick Wieschke (Die Heimat, ehemals NPD). In einem zehnminütigen Video bei Instagram attestierte er YS, sich von der Position der »gleichgeschalteten Linken« im Israel-Palästina-Konflikt »emanzipiert« zu haben.
Die Situation erinnert an einen Vorfall in Leipzig im Oktober vorigen Jahres. Gewerkschaften und Parteien hatten eine Demonstration unter dem Motto »Jetzt reicht’s – Wir frieren nicht für Profite« organisiert. Die Gruppe Handala hatte versucht, die Demonstration für ihren Protest mit Palästina-Fahnen zu vereinnahmen. Handala ist eine von mehreren linksautoritär und antiimperialistisch orientieren Gruppen, die sich seit einiger Zeit in Leipzig bemerkbar machen. Hinter einigen von ihnen wird die Kaderorganisation Kommunistischer Aufbau vermutet.
Auch wenn rote K-Gruppen momentan in Leipzig im Aufwind zu sein scheinen, gibt es dort nach wie vor eine starke antisemitismuskritische Linke. Das zeigte die Demonstration »Jetzt erst recht – Gegen den antisemitischen Normalzustand« am 19. November in Leipzig. Die etwa 600 Teilnehmer:innen solidarisierten sich mit den Antifaschist:innen aus Eisenach.
»Gerade in Städten wie Jena oder Weimar, wo eine antiautoritäre radikale Linke immer weniger ansprechbar und eher auf dem Rückzug ist, stoßen autoritär-kommunistische Gruppen auf eine Leerstelle.« Charlotte Marx, Pressesprecherin der Antifa-Gruppe Dissens
In anderen ostdeutschen Städten scheinen entsprechende K-Gruppen weniger präsent zu sein. Jacek, ein Antifaschist aus Halle, beschreibt die dortige Situation im Gespräch mit der Jungle World als relativ unproblematisch. Zwar habe es in den vergangenen Jahren zwei Gruppen gegeben, die versuchten, die israelsolidarische Prägung der dortigen linken Szene in Frage zu stellen, doch beide Gruppen existierten heute nicht mehr. Sie hätten damals Kontakte zur OJD, dem inzwischen verbotenen Netzwerk Samidoun und der Leipziger Ortsgruppe von Zora gehabt. »Eine dieser Gruppen, das Radikale Flinta-Kollektiv, war damals auch eng mit den Protagonisten verbunden, die den Ausschluss der AG Antifa aus dem hallischen Studentenrat forderten.« Die AG Antifa wurde vergangenes Jahr aufgelöst. Ihre Gegner warfen ihr vor, sie sei transfeindlich und rassistisch.
In Dessau sei die OJD relativ isoliert, erzählte Conrad* von der Gruppe »Dessau nazifrei« der Jungle World: »Das sind vielleicht 15 bis 20 recht junge Leute, mit denen in der Stadt aber mittlerweile niemand mehr zusammenarbeiten möchte.«
Charlotte Marx, die Pressesprecherin der antifaschistischen Gruppe Dissens aus Erfurt, schätzt die dortige Lage ähnlich ein, gibt aber zu bedenken, dass innerlinke Entwicklungen in Thüringen verspätet ankommen. »Gerade in Städten wie Jena oder Weimar, wo eine antiautoritäre radikale Linke immer weniger ansprechbar und eher auf dem Rückzug ist, stoßen autoritär-kommunistische Gruppen auf eine Leerstelle.« Mit »einfachen Parolen, leicht zugänglicher Praxis und straffen Kaderstrukturen« könnte es ihnen gelingen, diese Lücke zu füllen.
* Name von der Redaktion geändert.