Anti-AfD-Proteste auf dem sächsischen Land stoßen auf Gegenprotest

Völkische Beobachter

Auf dem sächsischen Land bedrohen Rechtsextreme Teilnehmer:innen der Anti-AfD-Proteste. Zwei Veranstalter berichten von ihren Erfahrungen.

Nahezu überall, wo Menschen seit Ende Januar auf dem sächsischen Land für Demokratie einstehen, werden sie von Rechtsextremen verunglimpft und bedroht. Freie Sachsen, AfD und andere Rechtsextreme geben seit Jahren den Ton in den Regionen an. Montag für Montag beanspruchen sie die Kleinstädte mit ihren »Spaziergängen« und »Mahnwachen« für sich. Seit den Correctiv-Recherchen fordern lokal organisierte Protestwellen diese Dominanz heraus. Das ruft die rechten Platzhirsche erst recht auf den Plan.

In Bautzen beispielsweise demons­trieren seit drei Jahren Rechtsextreme jeden Montag auf dem Kornmarkt. ­Zuletzt nahmen regelmäßig über 1.000 Menschen teil. Am 27. Januar gelang es einem Bündnis aus verschiedenen Vereinen, Gewerkschaften und lokalen Vertreter:innen von Politik und Kirche schließlich, etwa genauso viele Menschen in Bautzen zu versammeln, um gegen Rechtsextremismus zu demons­trieren. Für den 25. Februar ist eine weitere Demonstration geplant.

»Von Unternehmer:innen höre ich, dass sie gern ein Zeichen gegen rechts setzen würden, aber Angst haben, dass sich das negativ auswirken könnte.« Jonas Löschau (Grüne), Stadtrat in Bautzen

Um größere Teile der Gesellschaft zu erreichen, ist man in der sächsischen Provinz oft auf Allianzen mit Konservativen angewiesen. So waren an der Organisation der Demonstration in Bautzen CDU-Mitglieder beteiligt. Jonas Löschau (Grüne) begrüßt das. Die CDU sei »enorm wichtig, um bestimmte Menschen überhaupt zu erreichen«, teilt er der Jungle World mit. Gleichzeitig betont er, dass er nicht allen CDUlern einen solchen Auftritt abkaufen würde.

Als Beispiel nennt er den Bautzener Landrat Udo Witschas (CDU), der immer wieder mit seiner Nähe zu AfD-Po­li­tiker:innen Schlagzeilen macht. Löschau sitzt im Bautzener Stadtrat ­sowie im Kreisrat des Landkreises Bautzen und hielt auf der Demonstration am 27. Januar eine Rede. 2020 organisierte er die erste Demonstration von Fridays for Future in Bautzen, vergangenes Jahr den ersten Christopher Street Day (CSD).

Rechtsextremer Begleitkonvoi in Bautzen

In Bautzen müsse man mit einem »rechtsextremen Begleitkonvoi« rechnen, wenn man linke Ideen auf die Straße bringt, so Löschau. Ein solcher Konvoi begleitete auch den CSD – mit Eierwürfen und Beleidigungen. Auch im Zusammenhang mit den Anti-AfD-Protesten kam es zu Übergriffen. Bei der Demonstration am 27. Januar waren nach Polizeiangaben mehrere kleinere Gruppen in Bautzen unterwegs, um die Veranstaltung zu stören. Danach sei eine Gruppe aus etwa 20 Personen drei Demonstrationsteilnehmer:innen ­körperlich angegangen; einer anderen Person sei der Autospiegel abgetreten worden.

Ähnliche Vorfälle ereigneten sich am 4. Februar in Dippoldiswalde. Dem Recherchekollektiv Pixel Roulette zufolge versammelten sich bereits zu Beginn der Demonstration unter dem Motto »Zusammen für Vielfalt und Menschlichkeit« rechtsextreme Jugendliche auf dem Marktplatz. Immer wieder hätten diese versucht, an die Versammlung heranzukommen. Am Busbahnhof posierten weitere mit einem Transparent »Linke Propaganda stoppen« – begleitet von der Parole »Deutschland den Deutschen, Ausländer raus«.

Wenige Stunden nach der Demons­tration in Bautzen brannte ein Jugendclub im nahegelegenen Göda. Bei den Löscharbeiten entdeckte die Polizei Nazi-Parolen und Hakenkreuze. Wenige Tage später prangte ein etwa 1,70 Meter großes Hakenkreuz am Deutsch-Sorbischen Volkstheater in Bautzen. Der Vorsitzende des Bundes Lausitzer Sorben, Dawid Statnik, mahnte bei seiner Rede am 27. Januar noch: »Als Sorbe bekommt man Angst. Gehören wir noch dazu?«

Wer sich gegen Rechtsextreme posi­tioniert, wird an den Pranger gestellt

Wie schon beim CSD fotografierten und filmten Rechtsextreme die Demonstration und verbreiteten die Aufnahmen mit dem hämischen Kommentar »für Recherchezwecke« unter anderem auf einem Telegram-Kanal mit knapp 8.000 Follower:innen. »Das hat System«, sagt Löschau. Bereits seit Jahren werde an den Pranger gestellt, wer sich in Bautzen gegen Rechtsextreme posi­tioniere.

Er erinnert an Annalena Schmidt. Die aus Gießen stammende Historikerin zog 2015 nach Bautzen, zog kurz darauf über die Liste der Grünen in den Stadtrat ein und sprach sich konsequent gegen Rechtsextremismus aus. Sie erhielt Morddrohungen und auf ihrem Briefkasten fand sie regelmäßig Nazi-Sticker. Fünf Jahre später verließ sie Bautzen wieder.

Jetzt, so Löschau, gehe es eben mit den Leuten weiter, die im Ort noch aktiv sind. Erst kürzlich hetzte ein stadtbekannter Neonazi online gezielt gegen zwei Frauen aus der Region, die sich seit Jahren gegen Rechtsextremismus engagieren.

Entsprechend scheuen sich viele Menschen davor, Position zu beziehen. Das, so Löschau, senke auch das Poten­tial, sie für die derzeitigen Demonstrationen zu gewinnen: »Gerade von Unternehmer:innen höre ich immer mal wieder, dass sie gern ein Zeichen gegen rechts setzen würden, aber einfach Angst haben, dass sich das negativ auf ihre Firma oder ihre Person aus­wirken könnte.«

Slogan »Für Demokratie, gegen Nazis« führte in Chemnitz zu Boykottaufruf

Die Ängste sind nicht unbegründet. Ein in Chemnitz lebender Unternehmer ließ im Zuge der Protestwelle den Slogan »Für Demokratie, gegen Nazis« auf die Prospekte der von ihm betriebenen Edeka-Filialen drucken. Die Freien Sachsen, die mit ihrem Hauptkanal auf Telegram knapp 150.000 Menschen erreichen, riefen dar­aufhin zum Boykott der Märkte auf. Der Unternehmer entschuldigte sich wenig später öffentlich bei allen, die sich durch die Formulierung »gegen Nazis« angegriffen gefühlt haben.

Als überall in Sachsen vermehrt Anti­-­AfD-Demonstrationen ange­kündigt wurden, wollte auch Cindy Reimer etwas auf die Beine stellen. Gemeinsam mit zwei Freund:innen meldete die 31jährige Ende Januar eine Kund­gebung in Waldheim an. Seitdem fanden drei weitere statt – stets begleitet vom Gegenprotest der AfD und der Freien Sachsen. Die Teilnehmer:innen ­ihrer Demonstration, erzählt Reimer der Jungle World, seien immer wieder von Rechtsextremen beschimpft oder mit Taschenlampen geblendet ­worden.

Nach der dritten Veranstaltung habe ihr ein Unbekannter auf Facebook gedroht: »Lass dich bloß noch mal in Waldheim blicken.« Reimer nimmt es mit Humor und spricht von Fanpost. »Ich bin da wahrscheinlich abgestumpft«, sagt sie. Drohungen dieser Art sei sie seit ihrer Jugend gewohnt.

Wie selbstverständlich erzählt Cindy Reimer von Rechtsextremen, die ihr mit dem Auto hinterherfahren oder sie in der Stadt ansprechen: »Die laden mich ein, gemeinsam um die Ecke zu gehen und ›eine Bratwurst zu essen‹; so was halt.«

Seit Jahren engagiere sie sich gegen Rechtsextremismus. Wie selbstverständlich erzählt sie von Rechtsextremen, die ihr mit dem Auto hinterherfahren oder sie in der Stadt ansprechen: »Die laden mich ein, gemeinsam um die Ecke zu gehen und ›eine Bratwurst zu essen‹; so was halt.« Eine Pfarrerin, die auf der zweiten Demonstration eine Rede hielt, habe sie zuvor gebeten, sie vom Auto abzuholen. Sie habe wahrscheinlich auch schon »ihre Erfahrungen gemacht«, mutmaßt Reimer.

Die ersten beiden Male sei die linke Demonstration dem Gegenprotest der AfD zahlenmäßig unterlegen gewesen. »Wir sind enttäuscht und fühlen uns ­allein gelassen«, schrieb ihr Bündnis Bunte Perlen auf Instagram. Man habe zuvor wiederholt um Unterstützung aus der Großstadt gebeten.

Und die Menschen im Ort? »Die kommen zu uns und verlangen die ›bürgerliche Mitte‹ und beschweren sich, dass Leute auf unseren Demos schwarze Jacken tragen, dass Punkrock läuft und dass wir gendern«, erzählt Reimer frustriert. Um auf seinen Protest aufmerksam zu machen, verlinkte das Bündnis vor der ersten Demonstration lokale Vereine auf dem Aufruf auf Instagram. Eine Rückmeldung gab es sogar: »Ob wir sie in Zukunft doch bitte nicht mehr verlinken könnten.«