Die nicht vorhandene Freiheit bei der Lohnarbeit

Mit der Arbeit fällt die Freiheit

Freiheit und Lohnarbeit stehen im Widerspruch zueinander. Es gibt Rechte am Arbeitsplatz. Die mussten aber hart erkämpft werden und sind keine Selbstverständlichkeit.
Kommentar Von

Freiheit und Lohnarbeit sind wohl krasse Gegensätze. Nichts schränkt uns mehr ein als der Zwang, morgens aufzustehen, um bei schönstem Sonnenschein in einem Büro zu sitzen, und selbstbestimmte Unternehmungen auf wenige Urlaubstage zu begrenzen. Und dennoch gibt es auch bei der Arbeit gewisse Freiheiten, die aus hart erkämpften Rechten resultieren. Aber viele von diesen gelten nicht für alle lohnarbeitenden Menschen. Wer als Praktikantin oder in einem Betrieb ohne Tarifvertrag arbeitet, ist so frei wie ein Kanarienvogel im Käfig.

Zu den Rechten am Arbeitsplatz zählt, was ganz euphemistisch Mitbestimmung genannt wird. Die ist seit dem vorigen Jahrhundert gesetzlich geregelt. Auf betrieblicher Ebene vertritt der Betriebsrat die Beschäftigten. Geregelt wird das im Betriebsverfassungsgesetz, dessen erste Fassung aus dem Jahr 1952 stammt. Die Mitbestimmung auf Unternehmensebene – konkret im Aufsichtsrat – regelt das Mitbestimmungsgesetz von 1976.

Früher haben davon die meisten lohnarbeitenden Menschen profitiert. Im Jahr 2022 wurden insgesamt nur noch 43 Prozent der Beschäftigten in Deutschland durch Arbeitnehmervertretungen repräsentiert. In der Privatwirtschaft lag der Anteil bei 39 Prozent. Und dass der Anteil nicht noch weiter sinkt, ist keineswegs gesichert. Dabei betont die Politik ständig, wie wichtig es sei, Leute fair zu behandeln und ordentlich zu bezahlen.

Die Sozialdemokratie in Deutschland gestattet traditionell immer nur so viel Mitbestimmung, wie unbedingt nötig ist, um den Karren nicht komplett an die Wand zu fahren.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schätzt zum Beispiel die Bedeutung der betrieblichen Mitbestimmung für die Demokratie. »Ich glaube, dass wir uns ein Demokratieverständnis angewöhnen müssen, in dem wir die Mitbestimmung der Beschäftigten als einen zentralen Bestandteil unserer insgesamt gelingenden Demokratie begreifen«, sagte er im November auf dem Betriebsrätekongress in Bonn.

Eine vorhersehbare und, weil sie von einem SPDler kam, zudem lustige Aussage. Schließlich gestattet die Sozialdemokratie in Deutschland traditionell immer nur so viel Mitbestimmung, wie unbedingt nötig ist, um den Karren nicht komplett an die Wand zu fahren. Eine Mitbestimmung, die tatsächlich Rechte und Freiheiten für die Beschäftigten gewährt, verhinderte sie schon zu Zeiten der Münchner Räterepublik. Es lebe die Sozialpartnerschaft!

Freier hingegen sind leitende Angestellte, Chefs oder Eigentümer. Sie können ihre Arbeit weitgehend selbst einteilen und entscheiden, von wo aus sie diese erledigen. Sie bestimmen ihre Arbeitszeiten und die Anzahl ihrer Urlaubstage selbst.

Der rechtliche Rahmen, der die Freiheit der Beschäftigten schützt, ist eng und kann bisweilen stark eingeschränkt werden. So ist es beispielsweise Beamt:innen nicht erlaubt zu streiken. Und wenn eine bestimmte Kleiderordnung oder ein Verhaltenskodex für private Social-Media-Kanäle verabredet sind, können Arbeitgeber die Freiheiten ihrer Angestellten noch weiter einschränken.

Aber auch wenn bestimmte Vorschriften nicht vereinbart sind oder im Arbeitsvertrag stehen, reicht die informelle Macht des Arbeitgebers bis weit ins Private. Eine Umfrage des Digitalverbands Bitkom aus diesem Sommer ergab, dass rund zwei Drittel der Berufstätigen in Deutschland auch im Urlaub für den Chef oder die Kolleg:innen erreichbar sind. Eine rechtliche Grundlage gibt es hierfür nicht. Die Angst, nicht gut genug zu performen, reicht offenbar aus.

Für Freiberufler:innen, Honorarkräfte oder Freelancer, die ja de facto auch oft in abhängigen Verhältnissen arbeiten, sind geregelte Arbeitszeiten oder bezahlter Urlaub meist ohnehin nur ein schlechter Witz. Auch für sie hält der Kapitalismus vor allem die Freiheit parat, ihre Arbeitskraft zu Markte zu tragen. Was in ihrem Fall neben der eigentlichen Arbeit Auftragsakquise, Buchhaltung, Öffentlichkeitsarbeit, Netzwerkarbeit und Weiterbildung einschließt.