Der Film »Green Border« und die Kampagne gegen Regisseurin Agnieszka Holland in Polen

Im Sumpf

In Agnieszka Hollands Spielfilm »Green Border« geht es um die Flüchtlingsabwehr an der polnisch-belarussischen Grenze. Für die nationalkatholische Partei PiS ist sie deshalb eine Vaterlandsverräterin.

Überaus grün und friedlich sehen die Białowieża-Wälder aus der Vogelperspektive aus. Die Natur wird hier geschützt, im Grenzgebiet von Polen und Belarus. Nach dieser schönen Naturfilmszene ist es vorbei mit der ­Farbe, der Film »Green Border« wird den Rest seiner Laufzeit schwarzweiß sein.

In einem vollbesetzten, aus der Türkei kommenden Flugzeug sitzt Leila (Behi Djanati Ataï) neben Amina (Dalia Naous), die ihre Kinder zusammenhält und das Baby stillt. Währenddessen will sie Leila erklären, warum sie aus der Stadt Harasta in Syrien geflohen ist. Leila erwidert auf Englisch, sie verstehe kein Arabisch, sie komme aus Afghanistan.

Hinter Amina sitzt der Vater ihres Mannes, den die ganze Familie Opa nennt (Mohamad Al Rashi). Er übersetzt in die Verkehrssprache Englisch. Bis das Flugzeug in Minsk landet, haben die Zuschauerinnen und Zuschauer die ganze Familie kennengelernt. Der Vater Bashir (Jalal Altawil), die Kinder Ghalia (Talia Ajjan) und Nur (Taim Ajjan). Nur langweilt sich, ärgert seine jüngere Schwester. Der Film steigt in das Familienleben ein, nimmt handwerklich gekonnt ihre Perspektive ein: Die Geflüchteten aus Syrien sind Subjekt, nicht Objekt des Films.

Hin- und hergetrieben von belarussischen und polnischen Uniformierten, hungrig, frierend, vom Regen und Sumpf durchnässt, verlieren die Geflüchteten immer mehr ihre Gesundheit und ihre Sicherheit.

Im Flugzeug werden Rosen verteilt – Willkommen in Belarus, die örtliche Temperatur beträgt minus zwei Grad. Mit Rollkoffern und geladenen Mobiltelefonen geht es in einen bereitstehenden Van, Richtung Polen, in die Wälder. Der bereits in Schweden wohnende Onkel hatte gehört, dort sei es leicht, über die Grüne Grenze in die EU zu gelangen, nach Polen. Von dort soll es gleich nach Schweden weitergehen.

Beim ersten Grenzübertritt nach Polen sind sie erstaunt, dass die belarussischen Grenzer sie zur Eile antreiben, geradezu scheuchen. In Polen verrät sie dann ein Bauer, den sie um Wasser bitten, an den Grenzschutz. Andere Geflüchtete flehen sie an, sich schnell zu verstecken. Amina und ihre Familie verstehen nicht. Als sie in einen Lastwagen einsteigen müssen, bleiben die Rollkoffer zurück. Ja, wir fahren euch nach Schweden, lügt sie der leitende Offizier an. Hin- und hergetrieben von belarussischen und polnischen Uniformierten, hungrig, frierend, vom Regen und Sumpf durchnässt, verlieren die syrische Familie und andere Geflüchtete, auch aus Afrika, immer mehr ihre Gesundheit und ihre Sicherheit.

Später dann dreht sich der Film auch um polnische Menschen, die versuchen, den Geflüchteten zu ­helfen. Die Psychotherapeutin Julia (Maja Ostaszewska) zum Beispiel, die mit anderen in die Wälder zu den Geflüchteten geht, um sie notdürftig zu versorgen, oder der Grenzschützer Jan (Tomasz Włosok), der allmählich daran verzweifelt, wie inhuman und fern jeder Rechtsstaatlichkeit er mit seiner Einheit die Flüchtlingsabwehr betreibt.

Die äußerst bewegliche Schulterkamera ist nah dran am Geschehen. Im sumpfigen Wald wackelt sie zwar erstaunlich wenig, wenn die Geflüchteten vor den Grenzschützern weglaufen – aber wie nichts sicher ist und sich die Lage nicht überblicken lässt, so ruckelt und springt auch das Bild. Die seltenen Panoramaaufnahmen offenbaren ein Szenario der Bedrohung, der Verzweiflung.

»Einige der Szenen im Film hatte ich selbst erlebt, so dass alle Erinnerungen wieder hochkamen«, erzählte Anna Alboth von der Flüchtlingshilfsorganisation Grupa Granica in einem Interview. Sie hat die Regisseurin Agnieszka Holland und ihr Team beraten: »Aber die Realität an der Grenze ist härter als im Film, das Drama da draußen ist noch größer – wir haben Hunderte von dramatischen Momenten erlebt, Konflikte mit den Behörden, Momente des Dilemmas.«

Agnieszka Holland sieht das Asylrecht, eine der Lehren aus der NS-Diktatur, gefährdet: »Die Achtung dieses Rechts ist in den letzten Jahren allmählich erodiert, bis hin zu einiger völligen Missachtung in der Euro­päischen Union, die sich in eine Festung verwandelt, während ihre Feinde – Leute wie Putin oder Lukaschenko – Krieg und Elend von Menschen, die vor Konflikten fliehen, als eine Art hybride Waffe einsetzen.«

Der damalige Justizminister Zbigniew Ziobro verglich »Green Border« mit NS-Propagandafilmen und ihrer »Darstellung der Polen als Banditen«.

»Green Border« wurde beim Filmfestival in Venedig 2023 enthusiastisch aufgenommen und gewann den Spezialpreis der Jury sowie sechs weitere Preise. Danach erschienen auch in Polen positive Filmkritiken. Doch bereits Wochen vor dem Filmstart in Polen Ende September begann die damals noch regierende, im Oktober abgewählte rechtskonservative Partei PiS eine große Kampagne, um den Film zu diffamieren – dafür wurde auch der Grenzschutz instrumentalisiert, die staatliche Presseagentur PAP sowieso.

In einem Interview mit dieser hat die Sprecherin des Grenzschutzes, Leutnant Anna Michalska, »Green Border« kritisiert. Michalska stellte fest, dass »uns niemand gefragt hat, wie die Situation an der Grenze aus unserer Sicht aussieht«. Der Film basiere auf »Verleumdungen und Unwahrheiten«, nicht auf »wahren Begebenheiten«, und müsse als »eine von der Realität völlig losgelöste Vision der Regisseurin betrachtet werden«, fügte sie hinzu.

Der damalige Justizminister Zbigniew Ziobro (PiS) verglich »Green Border« gar mit NS-Propagandafilmen und ihrer »Darstellung der ­Polen als Banditen«. Und der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński ­polterte in einer Rede in Wrocław zwei Tage vor dem polnischen Kinostart des Films, dieser sei »antipolnisch« und eine »ekelhafte Verspottung, die Teil der Industrie der Verachtung Polens ist«. Außerdem sei Regisseurin Holland »Teil der Armee Putins«. Er verstehe die »Beweggründe von Frau Agnieszka Holland jedoch nicht ganz«, sagte er, um dann verschwörungstheoretisch über den Vater von Agnieszka Holland zu reden, der ein stalinistischer Kommunist gewesen sei und einer von diesen gewissen Leuten, bei denen ihm etwas einfalle, worüber er nicht sprechen wolle – ein Anspielung auf die jüdische Herkunft ihres Vaters Henryk Holland, dessen Eltern in einem Ghetto von Nazis umgebracht worden waren und der in der Roten Armee gegen die Wehrmacht gekämpft hatte.

Holland verteidigte sich gegen »die Hasskampagne«, die Ähnlichkeiten aufweise mit der staatlichen antisemitischen Kampagne gegen jüdische linke Intellektuelle, die »in stali­nistischen Zeiten, im Jahr 1968, geschah«.

Holland verteidigte sich gegen »die Hasskampagne«, die Ähnlichkeiten aufweise mit der staatlichen antisemitischen Kampagne gegen jüdische linke Intellektuelle, die »in stali­nistischen Zeiten, im Jahr 1968, geschah«. Auch der neue polnische ­Ministerpräsident Donald Tusk wandte sich bei Wahlkampfauftritten gegen die Diffamierung von Agnieszka Holland – allerdings mit dem Argument, die Vorgängerregierung habe mit ihrem im September bekannt gewordenen massenweisen Visaverkauf an Migranten den Grenzschutz konterkariert.

Gleichzeitig behauptete Tusk, es gebe an Polens EU-Außengrenze keine illegalen Pushbacks. Im November antwortete Anna Alboth von Grupa Granica auf die Frage, was sich seit dem Dreh von »Green Border« an der Grenze verändert habe: »Nichts dort hat sich zum Besseren gewendet, Polen hat einen Zaun gebaut, der rund 400 Millionen Dollar gekostet hat.«

Wohl auch wegen der Untätigkeit der neuen polnischen Regierung, die die in »Green Border« gezeigten Praktiken nicht unterbindet, wurde am 11. Januar eine Erklärung veröffentlicht: 101 NGOs und 550 Einzelpersonen haben Tusk aufgefordert, die Praxis der Vorgängerregierung zu beenden, Migranten gewaltsam zurückzuschicken, die irregulär aus Belarus die Grenze überquert haben. Eine der 550 Einzelpersonen, die unterzeichnet hat, ist Agnieszka Holland.

Green Border (Polen, Frankreich, Tschechische Republik, Belgien 2023). Regie: ­Agnieszka Holland. Buch: Agnieszka Holland, Gabriela Łazarkiewicz-Sieczko, ­Maciej Pisuk. Darsteller: Jalal Altawil, Maja Ostaszewska, Behi Djanati Ataï, Mohamad Al Rashi, Dalia Naous, Tomasz Włosok. Filmstart: 1. Februar